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Deutsches Ärzteteam in Äthiopien: Hilfe im Hindernislauf

Sie sind nach Äthiopien gekommen, um zu helfen. Aber diese Hilfe wird zum Hindernislauf. Wie ein deutsches Ärzteteam auf die afrikanische Wirklichkeit stößt.

Die Nacht im Flugzeug steht ihnen noch in die Gesichter geschrieben, trotzdem hat das Helferteam an diesem Morgen in Addis Abeba nur eine Frage: Wann geht es weiter in die Flüchtlingscamps an der somalischen Grenze? Die 34-jährige Sabine Schalber hat daheim alles stehen und liegen gelassen, als die SMS kam, ob sie ein paar Wochen nach Äthiopien gehen könne, um den vor Dürre, Hunger und islamistischen Milizen geflohenen Somaliern rund um Dolo Ado zu helfen. 120 000 ausgemergelte Menschen warten dort auf Unterstützung. Dienstags leuchtete die Anfrage der Hilfsorganisation Humedica auf dem Display ihres Handys auf. Am Freitag saß die Intensivkrankenschwester aus Bad Hindelang im Flugzeug. Statt Sommerurlaub also Hilfseinsatz. Und nun das.

Robert Wunderlich ist nicht wohl in seiner Haut, aber der junge Arzt muss den Tatendrang der Kollegen bremsen. Gestern sind sie beim zuständigen äthiopischen Flüchtlingswerk Arra gewesen, um ihre Hilfe anzubieten. Doch die Behörde will erst mal einen schriftlichen Antrag. wie viel Geld haben die Helfer aus Deutschland, was wollen sie genau machen, welche Medikamente verwenden und in welchem der inzwischen vier Lager an der Grenze arbeiten? Nicht nur in Deutschland sind Genehmigungen gefragt.

Aber das ist nicht das einzige Hindernis. Robert Wunderlich und die Mitstreiter vom Humedica-Team sind zunächst einmal mit den lokalen Autoritäten aneinander geraten. Da die Zeit knapp war, haben sie einen Hubschrauber gemietet, um die Lage in Dolo Ado zu sondieren. Doch als der Heli auf der roten Piste aufsetzt, gibt es Ärger. Ein Mann murmelt „Intelligence“, als er sich vorstellt – auch das Flüchtlingswerk Arra untersteht dem Geheimdienst. Schließlich kommen Flüchtlinge aus den nicht eben befreundeten Ländern Sudan, Eritrea und Somalia nach Äthiopien. Man will sicher gehen, dass keine Kämpfer von Al Qaida einsickern.

Auch das Militär mag den Besuch offenbar nicht. Das Grenzgebiet ist Sperrzone. Pilot Markus Lehmann, ein fröhlicher Blonder aus Schramberg, der seit gut zwei Jahren in Äthiopien lebt, weiß das. Er hatte dem örtlichen Kommandeur eine Nachricht zukommen lassen. Die ist aber offensichtlich nicht angekommen. Man darf die Autoritäten am Ort aber nicht missachten. Wunderlich, dem angehenden Arzt aus Tübingen, schlackern die Knie, als es heißt, sie sollen sofort wieder abfliegen. Es wird gleich dunkel. Es ist die erste Mission, die Robert Wunderlich leitet. Dem kräftigen jungen Mann sieht man auf den ersten Blick nicht an, dass er erst 25 ist. Er hat auch schon ein eigenes Hilfsprojekt in Uganda, aber mit verärgerten Militärs hatte er noch nicht zu tun. Sie dürfen dann doch über Nacht bleiben.

Das Team weiß also immerhin schon, wie es in den Camps aussieht. Bis in die Nacht hinein übersetzen sie Listen mit Medikamenten und Spezialinstrumenten ins Englische. Sonntagabend ist der 20-seitige Antrag für die Versorgung von 40 000 Flüchtlingen fertig, Montagfrüh wird er im Copyshop in weinrot gebunden. Die komplette Mannschaft bringt ihn erwartungsvoll zum Flüchtlingswerk Arra.

Zwei Stunden brauchen die äthiopischen Verantwortlichen, um den Antrag zu studieren. Dann sitzen alle bei Projektkoordinator Gebre Medhin. 235 000 Euro wollen die Deutschen einsetzen, der Mann in dunklem Rollkragenpulli und beigem Cordblazer sieht zufrieden aus. Dann runzelt Medhin die Stirn: 18 000 Euro Lohnkosten für den Einsatz von Arra-Mitarbeitern? In vielen Ländern wird erwartet, dass die Einkünfte lokaler Kräfte aufgestockt werden. „Die können Sie streichen. Wir bezahlen unsere Leute.“ Auch „Fortbildung“ streicht Gebre Medhin ebenso wie „unvorhergesehene Ereignisse“. Hängt das mit dem restriktiven neuen äthiopischen NGO-Gesetz zusammen, das bei internationalen Beobachtern den Eindruck hinterlassen hat, die Regierung wolle möglichst alle ausländischen Ideen von ihren Bürgern fernhalten? Dann stellt Medhin noch klar, dass alle Arzneien, die eingeführt werden, mindestens noch ein Jahr haltbar sein müssen, macht Andeutungen über Konflikte mit den Clans, wenn man bei Einstellungen von Flüchtlingen die „Falschen“ berücksichtigt. Lächelnd lässt er dann an einem keinen Zweifel: Sollte das Geld nicht komplett im Projekt ausgegeben werden, bleibt der Rest „als Spende an Äthiopien und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR“ im Land. Humedica möge die Änderungen einarbeiten, dann wiederkommen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Die erste Krise

Als sie am Nachmittag die Unterschrift für den geänderten Plan holen wollen, die nächste Überraschung. „Vorher muss noch das UNHCR unterschreiben“, sagt Gebre Medhin. Auch das noch. Davon hatte keiner etwas gesagt. Das UNHCR-Büro liegt am andern Ende der Stadt, die Fahrt dauert eine Stunde. Auch dort wollen sie den Antrag der Deutschen erst prüfen, zwei bis drei Tage lang.

Der aus Gießen kommende Heiner Laube ist empört. Der pensionierte Arzt mit reichlich internationaler Erfahrung will endlich Patienten behandeln. Sie haben doch alle die Bilder von den ausgezehrten Menschen gesehen, die auf Hilfe warten. „Wer entscheidet hier eigentlich? Die äthiopische Regierung oder die UN?“, schimpft er atemlos.

Das zweite Humedica-Team unter Koordinator Michael Reuhl, im Alltagsleben technischer Betriebswirt bei VW, versucht das Beste aus der Situation zu machen. Sie sind in der Stadt unterwegs, checken, welche Ausrüstung sie in Addis Abeba besorgen können, was importiert werden muss. Am Abend ist die Stimmung trotzdem auf dem Nullpunkt. Es regnet, es ist kalt. Die erste Krise.

Sie fühlen sich nicht gewollt, die Aufgabe erscheint dem kleinen Team riesengroß. Sind überhaupt die richtigen Leute an Bord, wo es so viel zu organisieren, aber noch niemanden zu behandeln gibt? Heiner Laube fragt, wie lange sie eigentlich auf die Arbeitsgenehmigung warten wollen? „Eine Woche warte ich. Aber nicht einen Monat“, sagt er frustriert und fröstelnd. „Und ich werde keine Kochtöpfe verteilen. Das Medizinische geht vor, das ist das Wichtigste. Schließlich heißt es Humedica.“ Er will die Wartezeit wenigstens für einen Ausflug nutzen. Den Kaiserpalast sehen.

Damit ihnen nicht auch noch jemand das mündlich reservierte Haus in Dolo Ado wegschnappt, schicken sie Ibrahim Abdi Takhal, einen einheimischen Mitarbeiter, mit einem Auto vor. Anderthalb Tage ist er unterwegs. „Die Deutschen haben etwas Perfektionistisches“, grinst er. „Die mögen es nicht wischiwaschi. Wenn sie etwas anfangen, wollen sie es ohne Pause zu Ende bringen.“

Nach der Ankunft geht er sofort zum örtlichen Chef des Flüchtlingswerks Arra, um sich anzumelden. Der schildert den Zustand der Flüchtlinge drastisch. „Wenn ich einen Tag ohne Wasser auskommen muss, weiß ich, wie es um mich bestellt ist“, er fasst sich an den Kopf. „Sie haben Dürre und Gewalt hinter sich, waren tagelang unterwegs, haben Angehörige sterben sehen. Ihr Hirn wird sich in das von Tieren verwandelt haben.“

Danach geht es zum Vermieter. Der bestätigt immerhin die Reservierung. Allerdings will er nun mehr Geld als ursprünglich vereinbart. Ibrahim Takhal weiß, dass er trotzdem froh sein kann. Während er im Schatten einer Hütte über die Details verhandelt, kommen schon andere Interessenten, um das Anwesen zu besichtigen. Mit jedem Tag wächst die Zahl der internationalen Helfer, schließlich geht es um eine der größten Krisen auf dem Globus.

Das Haus hat fünf Zimmer. Ein paar Kabel, nackte Birnen und ein Ventilator hängen an Decken und Wänden, es gibt ein Gelass, das man mit einem Eimer Wasser als Dusche benutzen kann. Die bisherigen Mieter ziehen am Wochenende aus, verspricht der Vermieter. Gerade rechtzeitig, denn Anfang der Woche will das Team kommen, um am Ort zu sein, sobald endlich die Genehmigung vorliegt.

Ibrahim hat einen ganzen Rucksack voller Geld dabei. In Dolo Ado gibt es keine Bank, bei der er mal eben Geld abheben kann. Die Miete muss er aber bar für drei Monate im Voraus zahlen – dicke Bündel wechseln den Besitzer. Und er muss das Haus einrichten. In der Marktstraße findet er Matratzen und Bettzeug, „termitensichere“ Plastikstühle und Tische, eine Wassertonne, sogar eine Solarleuchte – damit es auch Licht gibt, wenn der Generator nicht brummt. Er ordert bei einem Schreiner am Straßenrand zwei Regale und einen Schrank, sie werden in zwei Tagen fertig sein. Um die Einkäufe ins neue Heim zu schaffen, heuert er zwei Eselskarren an. Später lässt er Wasser in einem großen Fass bringen, 400 Liter Vorrat legt Ibrahim an. Fließend Wasser gibt es nicht. Als die Deutschen am Nachmittag eintreffen, werden sie in der „Lounge“, einer mit den Stühlen ausgestatteten Hütte auf dem Hof, empfangen. Kleines Briefing über die Lage im Haus und in den Flüchtlingscamps. Am Abend werden die Zimmer für die kommenden Wochen verteilt.

Lesen Sie weiter auf Seite 3: Dann klingelt plötzlich das Telefon

Am nächsten Morgen: Als Erstes Vorstellung beim Arra-Chef, es soll nicht noch mal Ärger geben. Die Genehmigung aus Addis Abeba lässt weiter auf sich warten, also sortieren Heiner Laube und seine Kollegen erst mal Medikamentenkisten und entwerfen Einsatzpläne. Aber die Stimmung wird nicht besser. Dass die Arbeitserlaubnis immer noch nicht da ist, zehrt an den Nerven. Sie fühlen sich nutzlos und selbst hilflos. Lagerkoller. „Was sollen wir denn sagen, wenn der Hessische Rundfunk anruft oder der SWR, wenn wir wieder zu Hause sind? Dass wir gar niemanden behandelt haben? Das wäre der GAU. Wenn das die Medien mitkriegen!“ Was sagen dann die Spender?

In Addis geht derweil der Nervenkrieg um das Dokument weiter. Koordinator Michael Reuhl bringt schlechte Kunde. Das UNHCR wolle die Vereinbarung nicht unterschreiben, denn es zahle für die Hilfe, die Humedica übernehmen soll, bereits Geld an Arra. Die Deutschen aber bringen eigenes Spendengeld mit. Will Arra doppelt kassieren? Die Lage scheint völlig verfahren. Die Ärzte wollen helfen, sie sehen die Menschen da draußen vor ihrer Haustür hocken, husten, hoffen. Und sie müssen untätig herumsitzen. Wer bitte soll das verstehen? Es macht sich das Gefühl breit, das UNHCR will sie nicht.

Am nächsten Morgen werden sie merken, dass sie nicht die Einzigen sind, die auf das Papier warten, das ihnen offiziell das Arbeiten gestattet. Kasim, Ex-Flüchtling aus Somalia und inzwischen Norweger, ist für den Norwegischen Flüchtlingsrat NRC da. Seine Organisation ist, anders als Humedica, bisher nicht einmal in Äthiopien registriert. Er nimmt es gelassen. „Reine Formalität“, sagt der hoch gewachsene Mann. Sein Kollege von der irischen Organisation Goal ist erstaunt, wie viele Organisationen ihre Claims schon in diesem verlassenen Winkel abgesteckt haben. Hilfe ist auch ein Geschäft.

Anders als die eher bremsend wirkenden Kollegen in Addis scheint der UNHCR-Chef in Dolo Ado um alle froh zu sein, die kommen und ordentliche Arbeit machen. Verschwitzt, mit einem dicken braunen Fleck auf dem hellblauen Hemd, das aus der Hose gerutscht ist, begrüßt Jo Hegenauer die Neuen, „die Heli-Leute“, kurz in der internationalen Abstimmungsrunde. Aber er muss gleich weiter. Drei Autos funktionieren nicht, einige Mitarbeiter brauchen Computer, internationale Regierungsdelegationen haben sich angesagt.

Die Genehmigung aus Addis fehlt noch immer. Zwischen Arra und UNHCR scheint es nicht rund zu laufen. Mehr als zwei Wochen werden schließlich ins Land gegangen sein, bis der Chef des UN-Flüchtlingswerks in Addis endlich den Einsatz der Deutschen absegnet. Im Hauptstadtbüro von Humedica klingelt das Telefon: Es ist unterschrieben.

Dann geht plötzlich alles sehr schnell. Das Humedia-Team bekommt ein Stück Land im Lager Melkadida zugewiesen, wo es seine Basis aufbauen kann. Jetzt sind alle bester Laune. Mit Ibrahims Kontakten und Organisationsgeschick haben sie rasch einen Zaun gezogen und ein Zelt aufgeschlagen. Nun kann die Arbeit hier beginnen. Michael Reuhl atmet auf. Selbst den Pannen auf der Rückfahrt gewinnt er etwas Positives ab. Beide Ersatzreifen haben sie gebraucht. Jawohl. Was haben sie ihn belächelt, als er, ganz der Deutsche, auf zwei Ersatzreifen pro Auto bestanden hat.

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