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Ihr Einsatz. Französische Soldaten helfen malischen Truppen, die Islamisten aus dem Norden zurückzudrängen. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Deutsches Engagement in Mali: „Wir können nicht nur zuschauen“

Der Militärhistoriker Herfried Münkler über gute Gründe für eine deutsche Beteiligung in Mali.

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Herr Münkler, sollte sich Deutschland in Mali stärker engagieren?

Im Rahmen der europäischen Solidarität gibt es dafür gute Gründe. Wir wollen die Franzosen nicht allein lassen und uns nicht aus der Verantwortung stehlen.

Das wäre ein Grund. Gibt es weitere?

Es gibt auch normative: Wenn Frau Merkel sagt, die islamistischen Gruppierungen seien eine Bedrohung Europas, und wenn wir uns vor Augen führen, was die Islamisten im Norden Malis machen, und wenn unsere Normen nicht nur für uns, sondern universell gelten – dann können wir nicht einfach nur zuschauen.

Warum Mali und nicht Syrien?

Anders als in Syrien sind die Fronten in Mali einigermaßen überschaubar. Das heißt, dass der Konflikt vermutlich militärisch lösbar ist.

Drei Kriterien für einen Einsatz.

Genau: europäische Solidarität, normative Universalität und Praktikabilität.

In dieser Reihenfolge?

Im Falle von Mali ist das vielleicht eine Gewichtung, aber nur in diesem speziellen Fall.

Was ist mit dem Argument der Bündnissolidarität innerhalb der Nato?

Es handelt sich nicht um einen Nato- Fall, das Bündnisgebiet ist ja nicht aktuell bedroht, wie das vielleicht bei der Frage der Patriot-Raketen in der Türkei der Fall ist. Es wäre eher eine Investition in das wechselseitige Vertrauen zwischen Paris und Berlin und eine Chance, gesamteuropäisches Handeln darzustellen.

Die Europäer sind bei Mali in der Pflicht?

Wenn die Amis erklären, sie seien jetzt in die pazifische Epoche eingetreten, und nicht mehr bereit sind, sich um den Mittelmeerraum mit Ausnahme Israels zu kümmern, dann ist klar, das ist ein europäisches Problem. Nun kann man sagen, Mali ist weit weg. Aber massive Flüchtlingsbewegungen destabilisieren andere Länder der Region und erhöhen den Druck auf die europäische Südgrenze.

Wir helfen uns also selbst?

Ja, denn wenn man in Afrika nicht aufpasst, dann ist die Grenzschutzagentur Frontex irgendwann überlastet. Von daher ist es wirklich ein europäisches Problem, nicht nur ein französisches.

Unsere Sicherheit wird nicht nur am Hindukusch verteidigt, sondern auch in Afrika?

In jeder Hinsicht! Zumal die Wahrscheinlichkeit, dass aus Problemen Afrikas unmittelbare Probleme Europas entstehen, viel größer ist als bei Zentralasien.

Das sagt die Kanzlerin auch. Vor diesem Hintergrund ist der deutsche Beitrag aber sehr überschaubar.

Zwei Transall-Maschinen sind die Reaktion einer postheroischen Gesellschaft. Aber die Franzosen haben einen Vorteil: die Fremdenlegion, in der Abenteurer und gescheiterte Existenzen aus aller Herren Länder beschäftigt sind. Wer dort sein Leben verliert, fällt nicht unmittelbar ins Elektorat des Präsidenten. Jeder französische Präsident hat durch sie ganz andere Aktionsmöglichkeiten. Wir dagegen rekrutieren unsere Soldaten aus der deutschen Bevölkerung. Dennoch: Wenn uns unsere Werte so viel bedeuten, müssen wir auch etwas riskieren und zeigen, dass das Gerede vom Sonntag auch am Werktag eine Bedeutung hat.

Deutschland steht nicht zu seiner Verantwortung?

Ja. Diese peinlichen Auftritte von Außenminister Westerwelle gehen mir inzwischen auf den Senkel. Es ist ein Ungleichgewicht in Europa entstanden: Die Drecksarbeit machen die anderen, wir sagen ihnen dafür, wo sie sparen sollen.

Innenminister Friedrich warnt vor Terrorgefahren für Europa, die aus Mali entstehen. Hat er recht?

Direkt bedroht uns die Situation in Mali derzeit nicht, die Islamisten sind vor allem eine Gefahr für die Malier.

Also kein Grund, sich zu engagieren?

Klar könnte man sagen: Lass die Islamisten machen, dann sind sie damit beschäftigt, die malische Bevölkerung zu drangsalieren und kommen nicht zu uns.

Ein zynisches Argument.

Ja, und das Problem besteht darin, dass die malische Bevölkerung ausweicht. Schon jetzt sind bis zu 400 000 Menschen auf der Flucht – und die kommen irgendwann in Europa an. Wenn man aber der Meinung ist, dass wir nicht alle Probleme lösen, indem wir alle zu uns kommen lassen, dann müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie in ihrer Heimat eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben haben. Dann müssen wir uns vor Ort engagieren und können nicht sagen, das ist nicht unser Problem. Es ist sehr wohl unser Problem.

Also wiegt unser Eigeninteresse mehr als das humanitäre?

Ich würde das nicht trennen. Es gibt Situationen, in denen normative Obligationen mit nationalen Interessen zusammenkommen – wie im Falle Malis.

Umfragen zufolge sehen die Deutschen die Türkei-Mission kritischer als den Mali-Einsatz. Warum?

Offenbar ist die deutsche Bevölkerung sehr viel klüger, als die Politik gelegentlich meint. Syrien ist ein unüberschaubarer Konflikt, und vielleicht ist den Deutschen auch unheimlich, welche Interessen die Türkei als klassische Imperialmacht in der Region hat. Dazu kommt, dass, wer sich in Syrien gegen das Assad- Regime engagiert, vermutlich islamistischen Gruppen hilft. In Mali ist dagegen klar, wie die Fronten verlaufen, und geostrategische Interessen der USA oder sonst einer Macht spielen keine Rolle.

Gerade in den USA gab es warnende Stimmen vor einem Einsatz in Mali.

Man kann bei den Amerikanern nicht ausschließen, dass es ihnen ganz recht ist, dass die islamistischen Kämpfer nicht im gesamten Nordafrika herumvagabundieren, sondern sich in Mali konzentrieren. Ein französischer Erfolg in Mali könnte heißen, dass die islamistischen Kämpfer nicht ausgeschaltet wären, sondern in Nachbarstaaten ausweichen. Aus Sicht der USA wäre das kein Erfolg.

Viele Kämpfer in Mali kommen aus Libyen. War der Einsatz dort dennoch richtig?

Ich denke schon. Die Initiative ging nicht vom Westen aus, sondern von der Bevölkerung. Die Frage, ob es richtig war, sich an die Seite der Aufständischen zu stellen, war nicht philosophisch-abstrakt, sondern politisch-konkret. Nicht, was wäre das Beste, sondern wie können wir das Schlimmste verhindern. Ohne Intervention würde in Libyen wahrscheinlich immer noch Bürgerkrieg herrschen.

Wie sicher können wir sein, dass der Mali-Einsatz begrenzt bleibt? Hollandes Ziel ist es ja nur zu verhindern, dass ganz Mali von Islamisten beherrscht wird. Jeder Krieg hat aber seine eigene Dynamik.

Die Franzosen sind der Meinung, 2500 Soldaten sind ausreichend. Das ist eine politische Entscheidung, die falsch sein kann. Wichtig ist, einen nachhaltigen Einsatz in den Norden durchzuführen. Nur den Status quo ante wiederherzustellen, würde bedeuten, dass die Islamisten im Norden tun und lassen können, was sie wollen. In asymmetrischen Kriegen weicht der auf dem Territorium schwächere Gegner schnell auf psychologische Kriegsführung aus: auf Partisanenkrieg und Terrorismus. Das haben wir mit der Geiselnahme in Algerien gesehen.

Das Interview führten Juliane Schäuble und Michael Schmidt.

Herfried Münkler (61) lehrt Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Theorie des Krieges.

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