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Politisch bereits abgeräumt, aber laut Umfragen ein Mehrheitsanliegen: die Bürgerversicherung.

© imago/Jörg Schüler

Deutsches Gesundheitssystem: Auch viele Privatpatienten wollen eine Bürgerversicherung

Politisch keine Chance, doch die Ablehnung widerspricht offenbar dem Wählerwillen: Selbst bei Unterstützern von Union und FDP gibt es eine Mehrheit für die Bürgerversicherung.

Politisch ist das Dauerthema bereits vom Tisch. CDU und CSU haben den Sozialdemokraten in den Koalitionssondierungen unmissverständlich klargemacht, dass es mit ihnen auch diesmal keine Bürgerversicherung geben wird. Die SPD ringt zwar noch trotzig um kleinere Systemreformen, die sie ihren Anhängern wenigstens als Einstieg in den versprochenen Großumbau verkaufen könnte, wie etwa eine Angleichung der Ärztehonorare oder Wahlfreiheit für Beamte. Aber auch die Genossen machen sich nichts vor: In einer großen Koalition bleibt es bis auf weiteres beim umstrittenen Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung.

61 Prozent wollen Abschaffung der privaten Krankenversicherung

Diese dezidierte Voreinigung ist insofern interessant, als sie erklärtem Bürgerwillen widerspricht. 61 Prozent stehen nach einer repräsentativen Umfrage von YouGov hinter dem abgeräumten SPD-Anliegen, nur zehn Prozent lehnen es kategorisch ab. Bei den Wählern aller Bundestagsparteien gibt es eine Mehrheit dafür, Union und FDP inklusive. Und, vielleicht am überraschendsten: Selbst 40 Prozent der derzeit privat Versicherten hätten lieber ein einheitliches Kassensystem.

Auch ich habe damals - vor 15 Jahren - den Pakt mit dem Teufel geschlossen und mich an die PKV gebunden. Ich würde dem lieben Herrgott seine stinkigen Füße küssen, wenn es eine Möglichkeit für mich gäbe wieder in die GKV zurück zu kehren. Ich habe riesen Angst, dass als Rentner meine ganze Rente alleine nur für die PKV drauf geht.

schreibt NutzerIn sct

An manipulativer Fragestellung liegt der hohe Zuspruch schon mal nicht. „Würden Sie für die Einführung der Bürgerversicherung und die Abschaffung von privaten Krankenversicherungen stimmen?“, lautet sie unmissverständlich. Wenig überraschend: Von den Wählern der Linkspartei sind 75 Prozent dafür, bei der SPD beträgt die Zustimmungsrate 72, bei den Grünen 71 Prozent. Doch auch unter den Freunden der FDP findet die Bürgerversicherungsidee mit 53, bei CDU und CSU mit 51 Prozent Zustimmung. Bei den AfD-Wähler zögen stattliche 70 Prozent mit.

Einkommen spielt für Positionierung kaum eine Rolle

Dass es sich bei der Bürgerversicherung nicht um ein eher von „kleinen Leuten“ favorisiertes Projekt handelt, hat bereits eine andere aktuelle Studie unter Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Verwaltung belegt, aus der die „Welt“ berichtete. Der Umfrage der sogenannten Leseranalyse Entscheidungsträger (LAE) zufolge haben nur 41 Prozent dieser sogenannten Entscheider etwas gegen eine solche Reform. 50 Prozent dagegen fänden es gut, wenn diese Idee umgesetzt würde.

Die angedachte Bürgerversicherung [bringt] für die Patienten weder bessere Leistungen, noch kürzere Wartezeiten oder niedrigere Beiträge und senkt obendrein das Einkommen der Ärzte. Das nützt niemandem.

schreibt NutzerIn mcgyver

Ob Bürger den Systemumbau favorisieren, hat kaum mit ihrem Einkommen zu tun. Das belegt auch die YouGov-Studie. Unter den Befragten mit mehr als 3500 Euro im Monat ist die Zustimmungsrate nicht viel geringer als bei Bürgern mit weniger als 1500 Euro.

Jeder fünfte Privatversicherte fühlt sich überversorgt

Auf eine wichtigere Spur kommt man bei einer anderen Frage. 69 Prozent stimmten der Aussage zu, dass es gerecht sei, wenn besser Verdienende die Gesundheitsversorgung derer mitbezahlen, die weniger haben. Und 85 Prozent finden, es sei Aufgabe des Staates ist, dafür zu sorgen, dass jeder die Versorgung erhält, die er benötigt. Mehr als jeder Zweite empfindet das deutsche System mit Blick darauf als ungerecht.

Was die eigene Situation betrifft, stöhnen deutlich mehr Privatversicherte über zu hohe Beiträge als Kassenpatienten (43 Prozent gegenüber 31 Prozent). Und jeder fünfte PKV-Kunde hält sich für „überversorgt“. Bei den gesetzlich Versicherten sind es grade mal acht Prozent. Umgekehrt treibt das Gefühl, regelmäßig zu wenig Leistung zu erhalten, 23 Prozent der Kassenpatienten um. Unter Privatversicherten klagen darüber nur 13 Prozent.

Nur ein Drittel erhofft sich dadurch Verbesserungen

Doch trotz des hohen Zuspruchs für eine Bürgerversicherung: Dass sich dadurch die gesundheitliche Versorgung spürbar verbessert, glaubt grade mal ein Drittel der Befragten. 23 Prozent rechnen mit dem Gegenteil. Für die Studie wurden bis Mitte Januar 1871 Bürger online befragt.

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