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Nicht mitgemacht: Deutschlands UN-Botschafter Peter Wittig enthält sich der Stimme bei der Libyen-Resolution.

© AFP

Deutschland im Sicherheitsrat: Unrühmliche Rolle

Deutschland, Libyen und die UN: Was will unser Land im Sicherheitsrat, wenn es sich in einer solchen Lage nicht zu einem Ja oder Nein durchringen kann? Ein Kommentar.

Man würde gerne aufatmen: Endlich hilft die Weltgemeinschaft den Aufständischen in Libyen gegen den Diktator. Leider ist völlig offen, ob dieser Weg, der mit guten Vorsätzen gepflastert ist, zum Frieden oder in die Hölle führt. Im Idealfall ist Gaddafi vom plötzlichen Handlungswillen der USA, Frankreichs und Großbritanniens so beeindruckt, dass er den Vormarsch stoppt und Gespräche über die friedliche Machtübergabe anbietet. Optimisten werden die ersten Reaktionen so deuten. Doch die Erfahrung mit Diktatoren lehrt, dass ihre Angebote Finten sind. Nahe Bengasi spürt man nichts von Waffenruhe.

Eine unrühmliche Rolle spielt Deutschland. Was will unser Land im Sicherheitsrat, wenn es sich in dieser Lage nicht zu einem Ja oder Nein durchringen kann? Was sind die Bekenntnisse zur gemeinsamen EU-Politik wert, wenn sie hier nicht gelten? So bleibt der fatale Eindruck, Kanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle hätten mehr mit China und Russland gemeinsam – Gerhard Schröders Irak-Wahlkampf im Quadrat. Das ist gewiss polemisch überspitzt. Die Bundesregierung hätte diese Interpretation jedoch bedenken und mit Ja stimmen sollen. Dann wäre zwar der Widerspruch geblieben, dass Deutschland eine Resolution unterstützt, zu deren Umsetzung es militärisch nicht beitragen möchte. Der wäre aber leichter zu ertragen.

Um die Seriosität vieler Kritiker steht es nicht besser. Oft verschweigen sie den Bürgern, welche Folgen militärisches Eingreifen haben kann. Die Bundesregierung steht ja nicht allein mit ihren Bedenken. Auch die USA sind nicht scharf darauf, in Libyen zu intervenieren. Präsident Obama lobt die Resolution, fügt aber an, sein Militär sei noch nicht voll einsatzbereit. Franzosen und Briten sollen erst mal voranfliegen. Amerika werde sich darauf beschränken, Gräueltaten an Zivilisten zu verhindern. In den Kampf um die Macht in Libyen will er nicht eingreifen. Kann er das durchhalten?

Wer sich auf Krieg einlässt, gibt die Entscheidungsfreiheit zum Teil aus der Hand und unterwirft sich einer Eigendynamik der Eskalation, die sich nur begrenzt kontrollieren lässt. Dazu zählt die Gefahr, dass sich all die Gewissensnöte wiederholen, die die Nato-Staaten 1999 im Kosovo und zuvor in Bosnien durchlitten haben. Alles schon vergessen? Militärisch sind Gaddafis Söldner kein ernster Gegner. Das gilt auch für die Rebellen. Beides sind desorganisierte, undisziplinierte Kräfte. Das macht die politisch- psychologische Auseinandersetzung freilich umso gefährlicher. Wie damals Milosevic kann Gaddafi versuchen, Ausländer als „menschliche Schutzschilde“ zu missbrauchen. Lässt er die vier vermissten Reporter der „New York Times“ wirklich frei? Werden bald humanitäre Helfer gekidnappt? Nach westlichen Luftangriffen wird er Bilder von zivilen Opfern präsentieren – und es wird Tage dauern zu klären, ob sie wahr sind oder Propaganda. Was ist, wenn Berichte über tatsächliche oder angebliche Massaker durch Aufständische auftauchen und die Frage provozieren, wie es um die Moral der Kräfte steht, für die der Westen in den Krieg zieht?

All diese Risiken bedeuten nicht, dass man tatenlos zusehen muss, wie Gaddafi seine Macht blutig verteidigt. Aber der Westen kann sie reduzieren, indem er sich auf das Notwendigste beschränkt, um Gaddafis Waffenüberlegenheit auszugleichen. Und Libyens reformbereite Nachbarn Ägypten und Tunesien in die Lage versetzt, den Aufständischen mit Waffen und Logistik zu helfen, damit die aus eigener Kraft das Regime beseitigen.

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