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Deutschland ohne Strom: Der große Blackout

Ob Gesundheitswesen, Verkehr, Kommunikation oder die Lebensmittelversorgung - ein langer Stromausfall würde die Infrastruktur in kürzester Zeit lahmlegen. Welche Folgen hätte das?

Fast alle wichtigen Lebensbereiche sind heutzutage vom Strom abhängig. Kaum jemand wagt sich vorzustellen, was passieren würde, wenn die Energieversorgung zusammenbräche. Und nur wenige beschäftigen sich von Berufs wegen damit, einer solchen Katastrophe vorzubeugen.

Ist die Gefahr eines Stromausfalls am Jahresende besonders hoch?

Das Jahresende galt lange als kritische Zeit für die Stromversorgung. Vor allem, weil früher an Weihnachten Millionen Backöfen gleichzeitig hochgefahren wurden. „Gänsebratenspitze“ nannten das die Stromversorger. Doch die ist längst Geschichte, denn die Gewohnheiten der Deutschen haben sich verändert. Und die Stromversorgung auch. Sie ist heute sogar anfälliger für Störungen.

Früher konnten die Betreiber Engpässe und Spitzen noch relativ leicht ausgleichen, denn der Strom kam aus einer Hand. Doch heute gibt es eine Vielzahl von Akteuren und durch die Nutzung erneuerbarer Energien deutlich mehr Spannungsschwankungen in den Netzen. Wind und Sonne sind nun einmal nicht berechenbar. „Früher mussten die Versorger vielleicht zweimal im Jahr nachregulieren, also Kraftwerke zu- oder abschalten, um die Stromversorgung sicherzustellen, heute an mehr als 200 Tagen im Jahr“, erklärt Thomas Leitert, der sich seit Jahren mit dem Thema Stromausfall befasst.

Er sieht noch ein weiteres Problem: Viele Netze gehörten heute australischen oder kanadischen Rentenfonds, denen es vor allem um die eigene Rendite gehe. „Die reagieren erst, wenn es Störungen gibt.“ Und Störungen gab es in den vergangenen Jahren viele. 2005 etwa waren im Münsterland 250 000 Menschen über Tage von der Stromversorgung abgeschnitten, weil viele Strommasten nach einem Schneesturm zusammenbrachen.

„Die Netze sind die Achillesferse der Versorgung“, sagt Leitert. Das könnten auch Terroristen leicht ausnutzen. „Mit einer gezielten Sabotageaktion an nur drei Punkten rund um Berlin kann man die gesamte Hauptstadt von der Versorgung abschneiden.“ Denn wenn das System nicht mehr stabil sei, könne es zu einem Kaskadeneffekt kommen, einer Art Kettenreaktion, in deren Folge sich immer mehr Kraftwerke abschalteten. Letztlich sei auch ein bundesweiter Strom-Supergau möglich. „Und wenn erst einmal alles zusammengebrochen ist, kann es Wochen dauern, bis wieder Normalität herrscht.“

Wie würde sich ein großflächiger Stromausfall genau auswirken?

Thomas Leitert geht es nicht darum, Panik zu schüren. Jedenfalls sagt er das. Doch was der Unternehmer in seinem Büro in der Schönhauser Allee mit Blick auf den Fernsehturm erzählt, ist alles andere als beruhigend. Schon wenige Stunden nach einem großflächigen Stromausfall würden ganze Geflügelfarmen zum Massengrab, weil die Tiere ohne Lüftung und Heizung schnell verendeten. Und auch Kühe müssten massenhaft geschlachtet werden, wenn die Melkmaschinen ausfielen. Doch was heißt geschlachtet werden? Schlachthäuser arbeiten schließlich auch mit Strom. „Sie müssten dann erschossen werden“, erklärt Leitert, der sich selbst als Missionar in Sachen Blackout sieht. Er ist aber auch Unternehmer. Mit Partnern wie der Berliner Feuerwehr, der Charité und verschiedenen Hochschulen und gefördert vom Bundesforschungsministerium hat er ein Notstromkonzept für Einsatzkräfte entwickelt, das er nun vermarktet. Denn hier gibt es offenbar akuten Handlungsbedarf.

So haben in Berlin beispielsweise nur drei Tankstellen ein Notstromaggregat, in ganz Deutschland nur ein kleine zweistellige Zahl. Und auch nur drei der insgesamt 38 Berliner Feuerwachen.

Leitert sagt, ein lang andauernder Stromausfall würde uns ins Mittelalter zurückwerfen. Das ist vielleicht übertrieben, doch auch ein Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (Tab) kam 2010 zu dem Schluss, dass ein zweiwöchiger Stromausfall in mehreren Bundesländern „einer Katastrophe nahe“ käme. Nach 24 Stunden gäbe es kein Geld, keine Nahrung und keinen Verkehr mehr, erklärt der stellvertretende Leiter des Tab, Christoph Revermann. Denn Banken, Supermärkte, Ampeln und auch Stellwerke hingen vollständig von der Stromversorgung ab. Ebenfalls nach einem Tag sei das Gesundheitswesen „erheblich“ beeinträchtigt. „Für Dialysepatienten dürfte es nach wenigen Tagen keine Rettung mehr geben.“ Auch die Wasserversorgung und sämtliche Kommunikationsmittel würden innerhalb kürzester Zeit zusammenbrechen. „Es kann dann schnell zu Unruhen kommen.“

Ist ein großer Blackout denn realistisch?

„Das Szenario ist unwahrscheinlich, aber möglich“, sagt Wissenschaftler Revermann, der sich von Berufs wegen mit den Auswirkungen technischer Entwicklungen auf die Gesellschaft befasst. Das Tab erhält dazu konkrete Untersuchungsaufträge vom Forschungsausschuss des Bundestages. Die Arbeit an einem Blackoutszenario war für ihn und seine Kollegen ein „Aha-Erlebnis“, sagt er. „Es ist erstaunlich, dass sich noch nie jemand die simple Frage nach den Folgen eines großflächigen Stromausfalls gestellt hatte.“ Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Feist war einer der Berichterstatter im Forschungsausschuss, als der Tab-Bericht in Auftrag gegeben wurde. Er sagt heute: „Es gibt mehr kritische Infrastruktur als gedacht, aber das Problem ist nicht sichtbar, deshalb hat man sich bisher zu wenig mit dem Thema befasst.“ Ihm sei klar geworden, wie wichtig der Katastrophenschutz in Deutschland sei. „Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr in Sicherheit gewogen und vieles zurückgefahren.“ Allein dass Warnsirenen auf öffentlichen Gebäuden beinah komplett verschwunden seien, könne sich rächen.

Im Tab-Bericht heißt es: „Die Wahrscheinlichkeit eines lang andauernden und das Gebiet mehrerer Bundesländer betreffenden Stromausfalls mag gering sein. Träte dieser Fall aber ein, wären die dadurch ausgelösten Folgen selbst durch eine Mobilisierung aller internen und externen Kräfte und Ressourcen nicht beherrschbar, allenfalls zu mildern.“

Wie sind Behörden auf einen solchen Katastrophenfall vorbereitet?

Blackout-Experte Thomas Leitert hat in den vergangenen Jahren mit vielen Verantwortlichen über das Thema Blackout gesprochen. Auch in einer Anhörung im Bundestag kam er zu Wort. Sein Eindruck: Behörden und Politik, ob auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene, verdrängen die Gefahr eines Blackouts. „Der allgemeine Tenor lautet: Wir sehen das Problem, es ist aber so komplex, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll mit den Vorbereitungen.“

Krisenpläne gibt es natürlich und auch Katastrophenschutzübungen, die einen Blackout simulieren. Allerdings geht man dabei meist von einem räumlich begrenzten und kurz andauernden Stromausfall aus. Ein solches Szenario ist durchaus beherrschbar, denn die Krisenkommunikation der Rettungskräfte kann über mobile Systeme laufen, Krankenhäuser die Zeit mit Notstromaggregaten überbrücken. Doch nach zwei, drei Tagen sieht die Sache anders aus. Auch die Bundeswehr, die im Katastrophenfall die kritische Infrastruktur schützen müsste, sei darauf nicht vorbereitet, sagt Leitert. Er habe dort nicht einmal einen Ansprechpartner gefunden. „Die wussten selbst nicht, welche Stellen genau zuständig sind.“

Die föderalen Strukturen wären im Krisenfall ein weiteres großes Hindernis. Katastrophenschutz ist Ländersache, einheitliche Regelungen gibt es daher nicht. Christoph Revermann vom Tab glaubt allerdings, dass auch der beste Krisenplan bei einem tagelangen und großflächigen Stromausfall ohnehin nichts wert ist. „Auf eine solche Situation kann man sich nicht vorbereiten. Wir können nur hoffen, dass der Fall nicht eintritt.“

Welche großen Stromausfälle hat es in Deutschland schon gegeben?

Der größte Stromausfall in der deutschen Nachkriegsgeschichte ereignete sich vor acht Jahren im Münsterland. Nach einem Schneesturm waren dort Ende November 2005 etwa 50 Strommasten unter Eis- und Schneemassen zusammengebrochen. Mehr als 250 000 Menschen hatten keinen Strom – teilweise auch keine Heizung und kein warmes Wasser. Nach drei Tagen saßen noch immer 65 000 im Dunkeln. Besonders schlimm betroffen war Ochtrup, das nur über eine einzige Hochspannungsleitung versorgt wurde. Viele Bewohner der Kleinstadt mussten in der Stadthalle übernachten. Dort bekamen sie auch warme Mahlzeiten und Getränke. Viele Münsterländer dürften an die stromlose Zeit aber durchaus auch positive Erinnerungen haben: Jedenfalls meldeten viele Krankenhäuser der Region im folgenden Sommer einen Geburtenanstieg. Als eine Art „Wiedergutmachung“ zahlte der Stromversorger RWE allen Familien in der Region, die neun Monate nach der Katastrophe Nachwuchs bekamen, 300 Euro.

Im März 2014 fielen beim Wolfsburger Autobauer VW vier Generatoren im werkseigenen Kraftwerk aus. Mit gravierenden Folgen: Die Autoproduktion wurde komplett lahmgelegt und auch 50 000 Haushalte in der Umgebung blieben ohne Strom. Ampeln fielen aus, Geschäfte mussten schließen, weil weder Kassen noch elektrische Türen funktionierten. Sogar bis nach Indien und Australien wirkte sich die Panne aus, denn auch der Onlineauftritt des Unternehmens stürzte ab. Auslöser für das Chaos war offenbar ein Trennschalter, der das öffentliche Netz vom VW-Netz trennt. Hier hatte es eine Schutzauslösung an der Längskupplung gegeben. Die Produktion im VW-Werk lief auch nach dem Stromausfall nicht gleich wieder rund, denn es dauerte lange, bis alle Maschinen wieder mit voller Leistung liefen und aufeinander abgestimmt waren. Für den Konzern ein Millionenschaden.

Auch in Berlin kommt es immer wieder zu Stromausfällen. Mal werden einzelne Stadtteile lahmgelegt, mal der gesamte S-Bahn-Verkehr. Die Ursachen sind vielfältig, schon kleine Störungen können eine Kettenreaktion auslösen.

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