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Mehr als zehn Millionen Zuschauer verfolgten die Neujahrsansprache des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

© Jean-Paul Pelissier/Reuters

Deutschlands Politiknachwuchs: Kein Macron, nirgends

In Deutschland scheuen sich die meisten Politiker aus der U-50-Riege, einen deutlichen pro-europäischen Kurs zu ihrem Markenkern zu machen. Ein Kommentar.

Das Land wird von Politikern regiert, deren Namen und Gesichter die Bürger schon seit Jahren begleiten. In der Bevölkerung gibt es einen diffusen Wunsch nach Veränderung, dessen politische Stoßrichtung noch unklar ist. Die Populisten machen stark von sich reden. Die Rede ist – nein, nicht von Deutschland. Sondern von Frankreich zu Beginn des Jahres 2016. Es ist noch nicht einmal zwei Jahre her, dass Frankreichs Politik in einem Zustand der kompletten Erstarrung lag. Dann gründete der heute 40-jährige Emmanuel Macron seine Bewegung „En Marche“. Der Rest der überraschenden französischen Erneuerungsgeschichte ist bekannt.

Auch in Deutschland richtet sich in diesen Tagen der Blick auf Politiker aus der U-50-Riege, die Erneuerung versprechen. Gäbe es einen oder eine wie Macron in den Reihen der Union, dann würde Kanzlerin Angela Merkel es mit der Stabübergabe – wann immer sie erfolgt – vermutlich leichter haben. Aber kann man sich beispielsweise vorstellen, dass die CDU-Nachwuchshoffnung Jens Spahn sich eines Tages in einer Neujahrsansprache derart engagiert für die Reform der Europäischen Union ausspricht, wie es Macron gerade getan hat? Eher nicht.

Schulz kaschiert sein Wahlkampf-Versäumnis

Auch bei der SPD ist niemand in Sicht, der in Sachen Europa derart ins Risiko geht wie Frankreichs Staatschef. Der Aufruf des Parteichefs Martin Schulz zur Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ war eher taktisch zu verstehen. Damit kaschierte Schulz, dass „Europa“ in seinem Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hatte.

"Europa gut, Deutschland gut" - das reicht heute nicht mehr

Schulz ist vor der Bundestagswahl wie viele andere deutsche Politiker auch davon ausgegangen, dass die EU von den Bundesbürgern ohnehin schon irgendwie für gut befunden wird und damit keiner größeren Erklärung bedarf. „Europa gut, Deutschland gut, Glückauf“, hat der frühere SPD-Chef Franz Müntefering einmal über den wirtschaftlichen Vorteil der EU für Deutschland gesagt. Das musste reichen.

Die Alternative lautet: Macron oder Kurz?

Es reicht aber heute nicht mehr. Macron macht vor, wie man die EU den Bürgern näherbringen muss: Die Europäische Union ist keine Selbstverständlichkeit, sondern sie bedarf des aktiven Engagements ihrer Bürger. Zugegebenermaßen waren in Frankreich die populistische Herausforderung und der parteipolitische Veränderungsdruck, die Macron an die Macht beförderten, größer als in Deutschland. Die Deutschen haben in den letzten drei Jahrzehnten mit der Wiedervereinigung und der „Agenda 2010“ Veränderungen bewältigt, die für viele Franzosen kaum vorstellbar sind. Und dennoch: In der aktuellen Situation der EU sind die Fragen, die sich den Bürgern in den beiden Ländern stellen, dieselben: Liegt die Zukunft in einer grundsätzlich offenen Gesellschaft, wie sie Macron will? Oder soll man eher auf Abschottung setzen, wie dies Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bevorzugt?

Die Vorsicht regiert: Bloß nicht der AfD in die Karten spielen!

Von Deutschlands U-50-Politikern ist dazu verhältnismäßig wenig zu hören. Statt dessen ist viel Kalkül im Spiel: Bloß nicht der AfD in die Karten spielen! Dabei hat der Wahlerfolg Macrons gezeigt, dass es sich für Politiker lohnen kann, einen deutlichen proeuropäischen Kurs gewissermaßen zum persönlichen Markenkern zu machen.

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