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Politik: Deutschlands Risiko

SCHRÖDER WAGT WAS

Von StephanAndreas Casdorff

Jetzt gilt es. Faites vos jeux. Alles auf Rot, rien ne va plus. Alles ist auf das Vorziehen der Steuerreform von 2005 auf 2004 gesetzt – und so läuft es nun. Risiko für Deutschland.

Die Koalitionäre wissen es nur zu gut: Die Hoffnungen, die sie weckten, werden sie nicht wieder los. Sie begründen das Vorziehen der Entlastungen ja inzwischen selbst mit den „hohen Erwartungen der Bürger“ und der „Hoffnung auf einen positiven psychologischen Effekt“. Gerhard Schröder meint damit die am Boden liegende Wirtschaft; wir Bürger sollen zum Kaufen stimuliert werden. Das Angstsparen soll endlich aufhören. Aber ein bisschen meint er auch sich selbst und die SPD. Da hätte er doch auch gern einen Aufschwung. 30 Prozent in Umfragen sind kein schönes Ergebnis.

Wachstum fördern, darum geht es. Und darum dieser Einsatz: Kommt das Wachstum, ist Schröder als Kanzler gerettet, und keiner wird mehr fragen, ob es die Weltwirtschaft war, die sich positiv entwickelt hat. Vielmehr wird Rot-Grün dann, nach dem Vorziehen der Steuerreform, den Erfolg und Mut für sich reklamieren. Kommt das Wachstum nicht – dann ist die Frage vom Anfang der Regierungszeit, ob Rot-Grün Epoche wird oder Episode bleibt, auch geklärt.

Das Jahr der Einschnitte, das Jahr der Entscheidung, so sieht die Regierung das Pensum für 2003. Die Hälfte ist schon vorüber, und die schwierigsten Entscheidungen stehen noch an. Das sind Probleme! Wie soll ein verfassungsgemäßer Haushalt geschaffen werden, einer mit mehr Investitionen als Schulden? Wie kann die Rente sicher sein, ohne dass es zu Kürzungen kommt? Wie können die Sozialversicherungen auf Dauer halten, was sie versprechen, wenn sie jetzt schon wöchentlich neuen Zuschussbedarf in Milliardenhöhe anmelden? Und wie wird die vorgezogene Steuerreform finanziert, ohne dass es noch mehr Schulden gibt – die uns die Verfassung sowieso verbietet.

Am kommenden Wochenende sitzen die Regierenden in Neuhardenberg zusammen, um Antworten zu finden. Er will da mal ein paar grundsätzliche politische Fragen klären, hat Schröder vorab erklärt und flugs in die Öffentlichkeit transportiert, dass es für sie eine Art Incentive-Wochenende werden soll. Das erscheint auch nötig. Denn Rot und Grün setzen nicht nur auf die Steuerreform – die Koalition erwartet auch noch, dass ihr ärgster Gegner, die Union, mitspielt.

Ob Angela Merkel oder Edmund Stoiber, Roland Koch, Christian Wulff und Friedrich Merz – einerlei wer das Sagen hat, CDU und CSU müssen für einen Erfolg mithelfen. Ohne den unionsdominierten Bundesrat kann kein Subventionsabbau gelingen, und ohne den wird die Bundesrepublik den vom Unionskanzler Helmut Kohl mit ins Werk gesetzten Maastricht-Vertrag auf noch längere Zeit mit noch höheren Schulden nicht mehr einhalten können. In dem Vertrag ist festgehalten, dass ein Mitgliedsland zusätzlich finanziell belangt werden kann, wenn es die zulässige Höhe des Staatsdefizits von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts mehrmals überschreitet. Das fehlte noch.

Die Chancen für eine große Kooperation stehen nicht schlecht. Dass Merkel, Stoiber und die anderen ein Gesamtkonzept wollen, ist keine Absage. Denn die Größe der Probleme des Staates eint die großen Parteien, der Druck der Wirklichkeit zwingt sie zusammen. Wie auch die Notwendigkeit, Sozialkonservativismus in der Gesellschaft zu überwinden. Die SPD kann sozialistische Formelsätze endgültig nur unter Handlungszwang in der Regierung loswerden. Die Union muss sich gegen strukturkonservative Sentimentalitäten handlungsfähig zeigen, um ihren Anspruch auf die Regierung zu dokumentieren. Deshalb kann es diesmal gelingen – wenn sie dafür alles tun: streichen, sanieren, Steuern senken.

Es ist wie in den Niederlanden der 90er Jahre, als Schluss gemacht wurde mit der Illusion, dass der Versorgungsstaat auf Dauer bezahlbar sei. Da war es auch ein Sozialdemokrat, der rigide sparte, Löhne kürzte, die Renten beschnitt – und zugleich die Steuern senkte. Und dem nach einem bitteren Zwischentief bei Provinzialwahlen und Verlusten bis zu 20 Prozent die Wiederwahl gelang.

Was Wim Kok Gerhard Schröder lehrt, ist das: Wer alles wagt, verliert vielleicht. Wer nichts wagt, verliert bestimmt. Aber das ist sein Risiko.

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