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Zukunftsperspektive. Ein Flüchtlingsjunge fotografiert am 22.02.2016 in Clausnitz (Sachsen) in einer Flüchtlingsunterkunft Pressevertreter und die Integrationsministerin.

© Jan Woitas/dpa

Deutschlands Zukunft mit den Flüchtlingen: Die Neuen werden bleiben

Wir schaffen das - aber was eigentlich? Als Einwanderungsland braucht Deutschland Ansiedelungskonzepte, neue Strukturen und Ideen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Wir schaffen das! Bei dem Satz liegt die Betonung bisher vor allem auf den beiden ersten Worten. Was aber ist eigentlich „das“?

Geopolitisch gehören hierzu die neuen Völkerwanderungen, denen ein zerstrittenes Europa an seinen Außengrenzen begegnen will, als könnte man das Mittelmeer noch zum Burggraben machen – und sich auf anderen Kontinenten seine Wächter erkaufen. Aber was passiert in Deutschland, was geschieht mit viel mehr als einer Million Migranten, die schon da sind und hier bleiben werden?

Für Illusionen, rechte oder linke, ist es längst zu spät. Denn keine Asyl- und Aufenthaltsrechtsänderungen, keine Symbolpolitiken, die angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen im Schwange sind, können wirklich rückgängig machen, was doch längst geschehen ist. Deutschland ist unwiderruflich zum Einwanderungsland geworden, und wer das nicht begreift, gehört zu den ewig oder neuerlich Gestrigen. Also hilft kein nostalgisches (oder blindwütiges) Zurück, sondern nur noch vorausschauendes Denken. Mit mehr Mut und Ehrlichkeit. Wirtschaftler und Wissenschaftler haben bereits geschätzt, dass es um ein 50-Milliarden-Projekt geht bei der neuen Infrastruktur des Einwanderungslandes Deutschland. Das bedeutet auch eine Chance, aber kein schwarzes Nullsummenspiel.

Wichtiger als ein Plan ist eine motivierende Vorstellung

Die Mühen der Ebenen, die Minima Moralia der Integration von mehr als einer Million kulturell vielfach fremder Neubürger stehen am Anfang: Obdach, Sprachkurse, Kinderbetreuung, schulische und berufliche Qualifizierung, Kriminalitätsbekämpfung sowie die verbindliche Vermittlung von demokratisch- emanzipatorischen Grundrechten und Grundpflichten, die in den Herkunftsländern der Migranten meist nicht existieren. Das alles ergibt schon eine Riesenaufgabe, an der nicht nur die Hauptstadt Berlin mit dem Engagement seiner öffentlich bediensteten Helfer und zahlloser Unterstützer aus der Bürgerschaft an eigene, oft bürokratische Grenzen gerät.

Es ist Zeit für Modellversuche - und neue Städte

Diese zuerst humane, im zweiten Schritt dann zivilisatorische und gesamtstaatliche Herausforderung bedarf allerdings auch einer übergreifenden, motivierenden Vorstellung. Die Frage des künftigen Zusammenlebens wird dabei kein einzelner Masterplan beantworten können. Aber für mehr als nur neue Flüchtlingsverteilungspläne ist es hoch an der Zeit. Ein Anfang wären da schon lokale oder regionale Modellversuche. Die Neubesiedlung und Neubelebung von schrumpfenden, „aussterbenden“ Städten und Landstrichen, gestern noch schiere Utopie, wäre inzwischen ein Beispiel.

Hierfür müssten Kommunen und Landkreise offensive und offene Bedarfsanalysen liefern. Mit Bundes- und Landesförderung, mit Hilfe von Stiftungen und Forschungsinstituten könnten dann Stadt- und Landschaftsplaner, Ökonomen, Ökologen, Handwerker, Pädagogen, Künstler, Mediziner, Sozial- und Kulturwissenschaftler mit Vertretern der Einheimischen und der Migranten gemeinsame Netzwerke bilden.

Modelle in ähnliche Richtungen existieren bereits in manchen Ländern, von Großbritannien bis Brasilien. Deutschland Einwanderungsland braucht neue An- und Besiedelungskonzepte: für sich mittelfristig selbsttragende Strukturen. Einst lief das mit den Hugenotten in Preußen noch per hoheitlichen Federstrich. Das geht nun nicht mehr. Aber mehr gestalten als nur verwalten ginge schon in diesem Land.

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