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Politik: Die 35 000 KFOR-Soldaten dürfen Taten nicht dulden, deren Motive sie womöglich verstehen (Glosse)

Wer will ihnen die Wut verübeln? Wer will richten über ihren Zorn?

Wer will ihnen die Wut verübeln? Wer will richten über ihren Zorn? Hals über Kopf mussten sie fliehen oder sich in den Bergen verstecken. Ihre Frauen wurden vergewaltigt, ihre Familien zerstreut, ihre Freunde ermordet. Doch jetzt, da ihre Peiniger aus dem Kosovo vertrieben worden sind, sollen die Albaner plötzlich Ruhe geben. Sie sollen die Toten beerdigen, auf Rache verzichten und sich friedlich versöhnen mit den Serben, ihren Feinden. Ist das nicht zu viel verlangt? Kann es eine Versöhnung geben ohne Sühne, ohne Reue? Die Bilder der Qual haben sich ins Gedächtnis eingebrannt. Darf man erwarten, dass der Schmerz schwindet, so lange die Opfer mit jenen konfrontiert sind, die die Bilder verursacht haben?

Die Fragen so zu formulieren deutet präzise auf das Dilemma hin, vor dem der Westen im Kosovo steckt: Die 35 000 KFOR-Soldaten dürfen Taten nicht dulden, deren Motive sie womöglich verstehen. Unwillkürlich fällt einem Marianne Bachmeier ein - jene Frau, die 1981 im Gerichtssaal den Mörder ihrer Tochter erschoss. Warum sie das tat, konnten viele Menschen nachempfinden. Dass sie es tat, musste trotzdem geahndet werden. Entsprechend bestimmt auch im Kosovo nicht das Rechtsempfinden, was Recht ist, sondern das Recht allein. Die Zumutung an die Opfer, auf Rache zu verzichten, ist der Preis, den der Westen für sein humanitäres Engagement verlangt. Will er seinen Idealen treu bleiben, darf er sich nicht zum Handlanger derer machen, die das Kosovo nun abermals ethnisch, diesmal von den Serben, "säubern" wollen. Einen Krieg zu führen, ohne UN-Mandat und ohne bedroht gewesen zu sein, verpflichtet in hohem Maße. Wer im Namen der Menschenrechte zu den Waffen greift, wird nach Beendigung des Krieges aus seiner Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte nicht entlassen.

Das alles wissen die Nato-Staaten. Daher die permanenten Warnungen an die Adresse der albanischen Befreiungsarmee UCK, im Untergrund eine Art Polizeitruppe aufzubauen und nach und nach die Macht zu übernehmen. Keine andere Sicherheitstruppe werde im Kosovo toleriert als die KFOR, betont deren Kommandeur Mike Jackson. Der deutsche Befehlshaber Helmut Harff legte gestern sogar noch eins drauf. Man dürfe im Falle einer Bedrohung durch die Albaner keine Schwäche zeigen, sagte er: "Wer schneller schießt und besser trifft, überlebt. Darum geht es hier." Das klingt entschlossen. Oder besser gesagt: Es soll entschlossen klingen. Denn wie glaubhaft ist die Vorstellung, man habe erst einen der intensivsten Luftkriege der Geschichte geführt - ohne eigene Verluste -, und sei jetzt bereit, im Kampf gegen die UCK - Mann gegen Mann - das Leben vieler KFOR-Soldaten zu riskieren?

Wahrscheinlicher ist etwas anderes: Militärisch kann der Westen das Duell mit der UCK kaum gewinnen. Das liefe im Extremfall auf einen Guerillakrieg hinaus. Allenfalls kann er vorübergehende Schutzzonen für die serbischen Zivilisten einrichten. Das große Ziel jedoch, die Schaffung einer Vielvölkerdemokratie im Kosovo, ist hinfällig geworden. Von einem Teil ihrer Ideale muss sich die KFOR daher verabschieden. Vor die Wahl gestellt, entweder in eine gefährliche Konfrontation mit der UCK zu geraten oder beim Exodus der Serben aus dem Kosovo zu assistieren, wird sie sich wohl oder übel für das Letztere entscheiden.

Dann trifft es wieder Unschuldige. Dann hat erneut die Realität über das Recht triumphiert. Die Ambitionen des Westens sollten bescheidener werden. Den Rachedürstigen die Opfer entziehen: Das ist bald das Maximum dessen, was er im Kosovo noch leisten kann.

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