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Ende Februar wird die Empörung der Forschergemeinschaft sichtbar über das, was sich Karl-Theodor zu Guttenberg geleistet hat. Auch sein Doktorvater wendet sich ab: "Nicht akzeptabel" seien die "schwerwiegenden Mängel" in der Arbeit, erklärt bitter enttäuscht der emeritierte Professor Peter Häberle.

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Die Affäre Guttenberg: Ein Minister unter Beobachtung

Murren in der Union und Aufregung in der Wissenschaft: Es gibt Protestbriefe, der Doktorvater wendet sich ab und die CSU wackelt. Wie lange kann sich Guttenberg noch halten?

Die Wissenschaft denkt gern ein wenig nach, bevor sie sich zu aktuellen Themen äußert. Doch spätestens seit dem Wochenende wird die Empörung der Forschergemeinschaft sichtbar über das, was sich Karl-Theodor zu Guttenberg geleistet hat. Am Montag wendet sich auch der Doktorvater ab: „Nicht akzeptabel“ seien die „schwerwiegenden Mängel“ in der Arbeit, erklärt bitter enttäuscht der emeritierte Professor Peter Häberle. „Vorschnell“ habe er kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe reagiert. Damals sagte er, die Arbeit sei kein Plagiat. Doch habe er das Ausmaß nicht absehen können. Außerdem unterzeichneten rund 30.000 Wissenschaftler einen Protestbrief an die Kanzlerin. So eindeutig ist also das Urteil der Fachwelt, dass es die Politik zu Reaktionen zwingt. Die Kanzlerin lässt Verständnis für „Empörung“ und „verletzte Gefühle“ äußern; ihre Wissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) bekennt, dass sie sich schäme. Und selbst in Guttenbergs eigener Partei, der CSU, wird der Damm um den Noch-Hoffnungsträger brüchig.

Steht die Union fest zu Guttenberg?

Die Unionsführung tut so. CSU-Chef Horst Seehofer richtet am Montag sogar drohend eine „ernste Bemerkung“ an Koalitionspolitiker – einige Äußerungen seien „befremdlich“ und „unangemessen“. Das galt vor allem dem Parlamentspräsidenten Norbert Lammert. Dem für Prinzipientreue bekannten Christdemokraten wird eine überaus kritische Äußerung zugeschrieben. Die Affäre und ihre Begleitumstände seien „ein Sargnagel für das Vertrauen in die Demokratie“, soll Lammert laut „Mitteldeutscher Zeitung“ vor SPD-Abgeordneten gesagt haben. Tatsächlich hat Lammert das Sargnagel-Bild bei einem Besuch der Arbeitsgruppe „Demokratie“ der SPD-Bundestagsfraktion verwendet. Allerdings habe sich Lammert weniger auf die Plagiatsaffäre selbst bezogen als auf die Rolle der „Bild“-Zeitung, hieß es aus SPD-Kreisen. Das Blatt hatte eine Telefonumfrage über Guttenbergs Verbleib im Amt gestartet, die klar zugunsten des Ministers ausging. Lammerts Kritik habe vor allem „diesen Pseudo-Plebisziten“ gegolten, hieß es.

Gleichwohl gehört Lammert zu den wenigen in der Union, die schon vorher offen Kritik auch an Guttenberg geübt haben. CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich, der sich politisch längst an die Zukunftsoption Guttenberg gebunden hat, spricht darum abwertend von „Einzelstimmen“. Doch so vereinzelt sind diese Stimmen gar nicht. Sie sind bloß nicht besonders laut. Wer sich unter Abgeordneten und Funktionären der oberen Ränge umhört, trifft viele Machiavellisten mit schlechtem Gewissen: Karl-Theodors Geschichte sei offenkundiger Quatsch – aber man könne, zumal mitten im Wahlkampf, einen derart anziehungsstarken Publikumsmagneten nicht opfern.

Ob dieser Corpsgeist nach den Wahlen immer noch gilt, ist offen. Nicht wenige in der Union sehen sich in Geiselhaft genommen, weil sie ein Verhalten verteidigen sollen, das sie jedem Oppositionspolitiker um die Ohren hauen würden. Doppeldeutig verhält sich auch die Kanzlerin. Sie, versichert ihr Sprecher Steffen Seibert, bedaure keine ihrer Äußerungen in der Angelegenheit Guttenberg. Merkel zweifele auch nicht an seiner Darstellung der Vorgänge: „Die Kanzlerin glaubt ihm.“ Doch Seibert verweist darauf, dass die Frage von Versehen oder Täuschung von der Uni Bayreuth weiter geprüft werde. Und er will sich nicht festlegen lassen, ob deren „Urteilsspruch“ politisch ohne Folgen bliebe. Von Häberle kann Guttenberg in dieser Frage keine Rückendeckung mehr erwarten. Denn er kündigte an, zur „Aufklärung der Umstände“ beitragen zu wollen.

Wenn die Bayreuther auf Täuschung erkennen sollten, wäre die Gutgläubigkeit der Kanzlerin enttäuscht worden. Und nicht nur ihre: „Sollte sich herausstellen, dass zu Guttenberg im Amt oder vor dem Bundestag etwas Unwahres gesagt hat, müsste er zurücktreten“, sagt Günther Beckstein. Der Ex-Ministerpräsident ist der erste wichtige CSU-Politiker, der im Gespräch mit einer „Stern“-Journalistin eine ganz schlichte Wahrheit ausspricht: „Die Affäre um seine Dissertation schadet der CSU und ihm selbst.“

Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) kritisiert Merkels Umgang mit den Plagiatsvorwürfen. Biedenkopf unterstützt die Wissenschaftler, die sich mit einer Protestnote an Merkel gewandt haben: "Ich teile in vollem Umfang das, was dort gesagt wird", sagte Biedenkopf am Montag dem ZDF-Hauptstadtstudio. Biedenkopf kritisierte Merkels Aussage, sie habe keinen wissenschaftlichen Assistenten eingestellt, sondern einen Minister: "Der Mensch wird gemessen, nicht das Amt. Und der Mensch ist auch nicht teilbar", sagte Biedenkopf. "Wenn Guttenberg mich am Anfang gefragt hätte, hätte ich ihm empfohlen ins Glied zurückzutreten." Er glaube zu Guttenberg nicht, dass der bei der Erstellung seiner Dissertation lediglich Fehler gemacht habe: "Ich kann nicht eine Dissertation schreiben mit Zweidrittel plagiierten Stellen, ohne das zu wissen." Er sehe nicht, wie Guttenberg den über ihm liegenden "Schatten loswerden" wolle. Er frage sich, wie zu Guttenberg die große Aufgabe der Neuordnung der Bundeswehr "wirklich bestehen will".

Ist die Bundeswehrreform in Gefahr?

Guttenberg mag manches können, was andere nicht können. Niemand anderer hätte so gut wie er die Union davon überzeugen können, dass auch ohne Wehrpflicht die Welt nicht untergeht. Aber bei der eigentlichen Reform geht es um normales Regierungs- und Militärhandwerk. Das beherrschen andere auch. Ob Guttenberg dafür noch Kraft hat, wird sich zeigen. Er selbst erklärt, dass er die Aufgabe „mit Freuden“ stemme. In der Union hoffen alle innig, dass das wirklich stimmt.

Wie ist die Stimmung in der Wissenschaft?

Den Verteidigungsminister einen „Betrüger“ nennen wie der Bayreuther Strafrechtler Oliver Lepsius mag öffentlich sonst keiner. Aber wer dieser Tage mit Forschern egal welcher Fachrichtung redet, hört das Wort oft. „Wenn ein Bäcker ein Viertel Sägemehl in seine Brötchen backt, weiß auch jeder, wie man das zu nennen hat“, sagt ein Germanistik-Professor. Bezeichnenderweise hat aus der Welt der Universitäten und Labore auch kein Einziger Verständnis für den falschen Doktor geäußert. Für dessen Darstellung, er habe nicht absichtlich getäuscht, hat sich auch noch kein Verteidiger vom Fach gefunden. „Das kenn’ ich“, sagt einer, der ständig Prüfungsarbeiten kontrolliert. „Das ist die dumme Ausrede aller Ertappten.“

Reagiert die Wirtschaft?

Kaum. Weder der Bundesverband der Deutschen Industrie noch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag wollen sich äußern. Man verweist auf die allgemeinen Standpunkte zum Schutz des Urheberrechts. Genau darauf wirft dieser Fall aber ein Schlaglicht: Ist Deutschland im Umgang mit Urheberrechten nicht viel besser als das oft kritisierte China? Bezeichnend ist ein Merkel-Video, das knapp drei Jahre alt ist. Damals äußerte sie sich zum „Welttag des Schutzes des geistigen Eigentums“: Der Urheberrechtstag solle daran erinnern, „dass sowohl Erfindungen als auch künstlerische Leistungen einen besonderen Respekt in unserer Gesellschaft verdienen, ihr Diebstahl nicht einfach ein Bagatelldelikt ist ...“ Von „gebührender“ Anerkennung spricht sie. Seltsam klingen diese Worte heute.

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