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Dass sich danach viele Menschen nach Ruhestand und Rente sehnen, liegt auch daran, dass sie Arbeit als Bürde sehen. Das müsste sich ändern.

© picture alliance / ZB

Die alternde Gesellschaft: Das Renteneinstiegsalter ist der falsche Kampfplatz

Die Gesellschaft muss ihre Alterung meistern. Dafür müssen Arbeit und Alter ihren Schrecken verlieren. Auch das ist ein Inklusionsziel. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Eins sei klar, rief Martin Schulz den Delegierten auf dem SPD-Parteitag zu: „Die Rente mit 70, wie die Union sie fordert, die wird es mit uns nicht geben.“ Das gehört zu den Versprechen für die Zukunft. Aber ist es eins?

Einen Tag vor der Schulz-Rede hat die Deutsche Rentenversicherung bekannt gegeben, dass die durchschnittliche Bezugszeit bei den Versichertenrenten deutlich gestiegen ist. 2001 lag sie bei 16,3 Jahren, 2016 bei 19,6 Jahren, mehr als drei Jahre mehr. Seit 1960 hat die Bezugszeit sich, wie die Rentenversicherung weiter mitteilte, wegen der anhaltend steigenden Lebenserwartung der Menschen fast verdoppelt. 1960 hatte die Bevölkerungspyramide Deutschlands die Kontur eines etwas gerupften Weihnachtsbaums, bis 2050 wird sie aussehen wie ein Dönerspieß, oben dick, unten dünn. Das könnte Anlass sein, eine ganz gegenteilige Schlussfolgerung zu ziehen als Martin Schulz und die SPD. Nämlich die, dass es perspektivisch unausweichlich wird, das Renteneintrittsalter nach hinten zu verschieben.

Das ist eine schreckliche Vorstellung für alle, die die Mühsal eines langen Arbeitslebens bereits tief in ihren Knochen spüren und den baldigen Ausstieg, die verdiente Rente, die Altersruhezeit herbeisehnen. Was schon Teil des Problems ist. Arbeit wie auch Alter müssen ihren Schrecken verlieren, wenn sie länger zusammenbleiben sollen.

60 ist das neue 40!

Bisher werden beide vor allem als Gegensatz gesehen. Arbeit ist täglich hohes Tempo, ist Anstrengung, Effizienz- und Leistungsdruck. Alter ist Ruhe und Gemächlichkeit, ist abnehmende Leistungsfähigkeit, weniger Stressresistenz, Unflexibilität. Es ist vor allem defizitär, ein Von-allem-immer-Weniger. Aber diese Bewertung ist normativ, die lässt sich ändern. Wahrscheinlich muss sie sich ändern, wenn die Gesellschaft ihre Alterung meistern will. Auch das ist eine Inklusionsherausforderung. Alter ist nicht schlechter, es ist nur anders.

Wer heute den 60. Geburtstag feiert, glaubt es oft kaum. Hat vielleicht noch Kinder in der Ausbildung, twittert seit Neuestem und trainiert für den Halbmarathon. Denkt vielleicht gerade: 60 ist das neue 40. Warum nicht solche Gedanken stärken, bestätigen, statt ihn sieben Jahre später auf Teufel komm raus in die Rente zu schicken?

Was alt ist, verschiebt sich immer weiter nach hinten, je mehr Menschen gesund, munter und am Leben interessiert die 60 oder 70 hinter sich lassen. Und damit wächst auch der Druck hinter der Frage nach dem Renteneinstiegsalter. Eine adäquate Antwort auf die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft kann das reine Beharren auf einer Zahl wie 67 nicht sein. Schon allein deshalb nicht, weil sie mit den bisherigen Denkmustern und Sozialsystemen kaum solide finanzierbar ist. Die entscheidende Frage der Zukunft wird vielleicht viel mehr als die nach dem Geburtsjahr die nach der Gesundheit werden. Wer krank ist oder gar pflegebedürftig, dem sollen die sozialen Sicherungssysteme gut helfen. Allein das Alter muss kein Grund für den großen Jammer sein. Dazu wird es ein Stück weit auch gemacht.

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