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Politik: Die Aufhebung der rechtlichen Diskriminierung von Prostituierten ist überfällig (Meinung)

Im rot-grünen Koalitionsvertrag steht zur Prostitution ein einziger Satz: Man wolle eine gesetzliche Regelung schaffen, die die rechtliche und soziale Situation der Prostituierten verbessert. Familienministerin Christine Bergmann hat dies inzwischen etwas präzisiert und eine Gesetzesinitiative für Anfang kommenden Jahres in Aussicht gestellt.

Im rot-grünen Koalitionsvertrag steht zur Prostitution ein einziger Satz: Man wolle eine gesetzliche Regelung schaffen, die die rechtliche und soziale Situation der Prostituierten verbessert. Familienministerin Christine Bergmann hat dies inzwischen etwas präzisiert und eine Gesetzesinitiative für Anfang kommenden Jahres in Aussicht gestellt. Die Zeit dafür ist reif, und die Akteurin hat das Zeug, für die betroffenen Frauen endlich die seit Jahren überfälligen Reformen durchzusetzen. Die ostdeutsche Ministerin steht im Ruf, gesellschaftlich tabuisierte Themen anzupacken und sich auch vor Zusammenstößen mit den etablierten Tugendwächtern nicht zu scheuen.

Deren Hauptwaffe ist ein auftrumpfend-deutscher Rechtsbegriff: die Sittenwidrigkeit. Sittenwidrig ist, was gegen "das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt". So sah es schon das Reichsgericht, so tönt die Huren-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bis heute. Mit der Folge, dass Prostituierte wie schon zu Kaisers Zeiten praktisch rechtlos sind und im Streitfalle gegenüber ihren Freiern über Gebühr benachteiligt. Verträge zwischen Freiern und Prostituierten gelten als sittenwidrig: Der Mann kann sein Geld zurückverlangen. Die Prostituierte ist machtlos dagegen, wenn ein Kunde sie übers Ohr haut und nicht zahlt.

Rund 400 000 Frauen arbeiten in Deutschland im horizontalen Gewerbe - in Bordellen, Clubs, auf der Straße und in privaten Wohnungen. Ihre sexuellen Dienste nehmen Tag für Tag mehr als eine Million Männer in Anspruch. Und die Umsätze dieses Erwerbszweiges schätzen Experten auf einen zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr. Dennoch ist es einer Prostituierten verwehrt, Mitglied in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zu werden. Auch hat sie keinen arbeitsrechtlichen Schutz und keinen Zugang zu Leistungen des Arbeitsamtes. Eine Prostituierte, die aussteigen will, kann sich folglich auch nicht auf Kosten des Arbeitsamtes umschulen lassen. Steuern zahlen jedoch muss sie, wie jede andere erwerbstätige Bürgerin in diesem Lande auch.

Solche rechtlichen und sozialstaatlichen Diskriminierungen haben sich überlebt. Zum einen werden auf dem Hintergrund eines fragwürdigen Verständnisses von Sittenwidrigkeit exekutiert. Denn was in einer Gesellschaft als sittenwidrig gilt, ist keineswegs ewige Norm und absolutes Gebot. Tabugrenzen verschieben sich, gesellschaftliche Grauzonen ändern ihre Geografie - wie die Millionenschar der Freier belegt.

Auch leuchtet nicht ein, warum Prostituierte sich nicht bei den gesetzlichen Sozialkassen gegen die Wechselfälle des Lebens absichern können. Dies zu ändern, wäre für die Frauen würdiger und gleichzeitig sozialpolitisch sinnvoller. Wird eine Prostituierte krank, alt oder arbeitslos, gibt es für sie bislang nur einen Weg: den zum Sozialamt. Und dessen Etat finanzieren alle.

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