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Politik: Die Avantgarde vom Amt

SOLIDARPAKT BERLIN

Von Markus Hesselmann

Knapsen, knickern, knausern, sich krumm legen und kürzer treten – es gibt so viele Synonyme fürs Sparen. Nach Kreativität und neuen Ideen klingen sie alle nicht. Eher nach Depression und Resignation. Und doch kann das Sparen schöpferische Schübe auslösen. Das ist zurzeit in Berlin zu sehen. Ausgerechnet Berlin. Hier läuft ein Experiment, das in Deutschland alle angeht. Plötzlich ist das nach der Wende gefeierte, doch dann als hoffnungsloser Fall aufgegebene Berlin wirklich vorn: Vorreiter, Vorkämpfer, Avantgarde. Es geht um die Zukunft des öffentlichen Dienstes, um Reformen, um mehr private Initiative. Berlin zeigt, wie es gehen kann – mit einem rotroten Senat, dem bei seinem Amtsantritt kaum jemand ein langes Wirken und schon gar keine großen Würfe zugetraut hätte.

Doch Sozialisten und Sozialdemokraten machten alles ganz anders. Mit klugen Schritten verblüfften sie als öffentlicher Arbeitgeber die Gewerkschaften: zunächst mit dem Angebot eines Solidarpakts, durch den 500 Millionen Euro Personalkosten eingespart werden sollten. Dann mit dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband – einem unerhörten Schritt, den bislang nur Unternehmen, aber noch kein öffentlicher Arbeitgeber gewagt hatte. Danach mit der Bundesratsinitiative für ein flexibleres Beamtenrecht. Und schließlich mit dem sofortigen und vorzeitigen Vollzug des Verbandsaustritts, mit dem eine teure Übernahme der bundesweiten Tariferhöhung verhindert wurde. Die Gewerkschaften reagierten mit heftigen Drohungen. Streiks schienen unausweichlich. Da wirkt es wie ein Wunder, dass beide Parteien jetzt friedlich an einem Tisch sitzen.

Der Zwang zum Sparen bewirkt aber auch politische Wunder. Die Berliner SPD hat sich gerade ein Reformprogramm zusammengestellt und will sich jetzt als Partei der Modernisierer profilieren. Noch 1995 hieß es in einem Parteitagsbeschluss, es dürfe „keine Veräußerung öffentlicher Beteiligungen geben“. Jetzt gibt ein neuer Leitantrag der „privaten Initiative wieder mehr Raum“ – auch und vor allem im öffentlichen Dienst.

Und die PDS? Die Nachfolgepartei der SED ist jetzt wieder Avantgarde – in einem ganz anderen Sinne, als sich Lenin das je hätte vorstellen können. Die Partei hat schmerzvoll gelernt, dass man Geld in der Marktwirtschaft nicht beschließen kann. Berlins PDS-Chef Stefan Liebich hat seine Genossen beim Parteitag am Wochenende vom Sparen überzeugt. Als 30-Jähriger gehört er selbst zu der Generation, deren Rente nicht mehr sicher ist und deren Jobs bei Entlassungen wegen der Sozialauswahl zuerst weg sind. So einer weiß, dass man nicht mehr auf Kosten der Zukunft wirtschaften kann. Und so einer weiß ein Angebot zu würdigen, das eine Beschäftigungsgarantie enthält.

Eine solche Garantie ist ja immer noch ein unerhörtes Zugeständnis. Wer kann sich heute sonst noch auf die Sicherheit seines Jobs verlassen? Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben das bislang nicht ausreichend gewürdigt. Streitereien ums Weihnachts- und Urlaubsgeld wirken da kleinkariert.

Doch auch die Gewerkschaften sind in Bewegung geraten. Die Masse ihrer Mitglieder ist längst nicht mehr straff und schlagkräftig organisiert. Viele Arbeitnehmer haben zwar einen Gewerkschaftsausweis. Sie machen aber längst nicht mehr alles mit, was sich ihre Vorkämpfer so ausdenken. Als in Berlin Warnstreiks angesetzt waren, weigerten sich die Mitarbeiter eines Arbeitsamtes mitzumachen. Sie wissen am besten um das Privileg, heute Arbeit zu haben. Es stehen so viele auf der Straße, da mochten die Leute vom Arbeitsamt nicht um Gehaltserhöhungen feilschen. Auch sie sind Avantgarde. Die Avantgarde der Gewerkschaften.

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