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Politik: Die Bahn hält Hof

Von Gerd Appenzeller

Es passt mal wieder alles zur Berliner Mischung aus Zukunftsträumerei, Gegenwartsverzagtheit und Vergangenheitsverklärung. Während die einen beim Anblick des neuen Hauptbahnhofs geradezu in Verzückung geraten, finden die anderen ihn völlig unnötig, und der Rest weint dem platt gemachten, alten Lehrter Bahnhof nach. Diese innere Zerrissenheit gab es schon, als dem Reichstag die neue Kuppel aufgesetzt wurde, die Dimensionen des neuen Kanzleramtes abschätzbar waren und am Potsdamer Platz die Krähen aus ihren über Jahrzehnte ungestörten Baumwipfelschlafplätzen gescheucht worden sind. Mehrheitlich sind wir Berliner dem Gewohnten so verbunden wie dem Neuen gegenüber misstrauisch. Am Ende aber sind wir stolz auf die Stadt. Ein bisschen.

So wird es heute auch wieder sein. Wenn Hartmut Mehdorn seinen Kristallpalast im märkischen Sand der offiziellen Bestimmung übergibt, werden die Ahs und Ohs ganz schnell das Lamento zudecken. Dass man sich über die Akzeptanz des neuen Hauptbahnhofs wenig Gedanken machen muss, liegt vor allem an der vom Büro Gerkan geschaffenen, grandiosen Architektur. Ein Bahnhof, der sich leichtfüßig wie auf Stelzen über dem Grund erhebt und nicht so großsprecherisch wie die übliche Bahnhofsbaumeisterei daherkommt, verkörpert am stärksten das, was Berlin immer noch am meisten fehlt: Eleganz.

Auch wenn es die treuen Westberliner Anhänger des Fernbahnhofs am Zoo und jene des Ostbahnhofs im anderen Stadtteil nicht wahrhaben wollen: Berlin brauchte nach der Einheit einen zentralen Bahnhof mit einer städtebaulichen und strukturellen Entwicklungsperspektive so dringend, wie es einen vernünftigen Flughafen benötigt. Natürlich ist es kleinkariert und Zeichen bornierter Rechthaberei, wenn die Bahn jetzt Fernzüge die Station Zoo zwar durchfahren, nicht aber dort halten lässt. Aber weder am Zoo noch in der Friedrichstraße – ansonsten natürlich der ideale Standort – wäre Platz genug für eine Erweiterung gewesen. Und wer’s nicht glaubt, steige dort einmal hinab in die düsteren Bahnkatakomben des alten Nord-Süd-Tunnels.

Wenn wir ehrlich sind, gestehen wir uns ein, dass der Abschied von Symbolen schwer fällt und schmerzlich ist. Für die Westberliner war der Bahnhof Zoo ein Symbol der Freiheit, wie der Flughafen Tempelhof und der erste Anblick des Funkturms , wenn man über den Kontrollpunkt Dreilinden Richtung Avus fuhr. Aber wenn eine Stadt, bei allem Respekt vor vergangener Größe, mehr als ein Museum sein will, muss sie die Kraft und den Raum zur Erneuerung haben. Nein, der Platz für den neuen Bahnhof wurde langfristig wohl richtig gewählt, auch wenn um ihn noch Leere ist, und seine Vernetzung lückenhaft. Wer sich die Bilder aus der Entstehungszeit der alten Berliner Fernbahnhöfe anschaut, wird feststellen, dass dies meist so war.

Die Bahn hat in den 15 Jahren seit der Wiedervereinigung im Raum Berlin mehr investiert als irgendein anderes Unternehmen. In atemberaubendem Tempo suchte sie, dabei vom Bund massiv unterstützt, ein halbes Jahrhundert sozialistischen Modernisierungsrückstaus aufzulösen. Das gelang mit einem beeindruckenden Resultat. Wenn Bahnchef Hartmut Mehdorn in seiner ganzen spröden Unnahbarkeit heute auf diese Leistung und den Beitrag der 19 000 Bahner zum Wohlergehen der Stadt verweist, tut er das zu recht – und er hat dafür mehr als ein formelles Dankeschön der Stadtspitze verdient.

Für den neuen Hauptbahnhof gilt im übertragenen Sinne, was man vor 15 Jahren vom Münchner Flughafen sagte: So, wie der damals in angemessener Zeit nur aus der Luft zu erreichen war, ist der neue Hauptbahnhof vorerst nichts als eine gigantische Kreuzung von Schienensystemen, zu der man am besten mit der Bahn hinkommt. Aber so wie heute Bayerns Airport eine große Erfolgsbilanz vorlegen kann, sprechen wir vermutlich auch vom Berliner Hauptbahnhof in 15 Jahren anders. Und vielleicht wird ihm bis dahin ja auch das restliche Glasdach aufgesetzt, das heute noch, komplett fertig gestellt, unter den S-Bahnbögen lagert und auf eine hellere Zukunft wartet.

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