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Politik: Die Balten zuerst

US-Präsident Bush ist zu einer Europareise aufgebrochen – Moskau hätte sich eine andere Route gewünscht

Die lebensgroßen Fotografien von US-Präsident George W. Bush an der Seite der lettischen Präsidentin Vaira Vike-Freiberga in einem Einkaufszentrum am Rande der Innenstadt von Riga beschreiben mehr als es Historiker mit Worten könnten: In der lettischen Hauptstadt ist Bush ein willkommener Gast. Hier begann der US-Präsident am Freitag seine fünftägige Europareise, in deren Mittelpunkt am Montag die Teilnahme an der Feier zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor 60 Jahren in Moskau steht. Am heutigen Samstag wird Bush in Riga jedoch zunächst mit den Staatschefs der drei Baltenländer zusammentreffen: Gastgeberin Vike-Freiberga sowie Arnold Rüütel aus Estland und Valdas Adamkus aus Litauen. Russlands Präsident Wladimir Putin soll Medienberichten zufolge verärgert sein, dass Bush beide Termine verquickt, schließlich lehnen Litauen und Estland eine Teilnahme an den 60-Jahr-Feiern in Moskau mit der Begründung ab, der Kreml weigere sich, seine Rolle während der fünf Jahrzehnte dauernden Besatzungszeit anzuerkennen. Bushs Besuch hat für die Balten daher hohen Symbolwert. Aus ihrer Sicht lässt er durch seine Routenplanung keinen Zweifel daran, auf welcher Seite die USA stehen. Dass der US-Präsident am Ende seiner Reise auch noch Georgien besucht, sei seine Antwort auf den unter Putin wieder erstarkten „Stalinismus light“, sagt der lettische Politologe Atis Lejins.

Die USA gehören seit langem zu den Förderern der Balten, haben immer wieder die Sicherheitsbedenken aus Tallinn, Riga und Vilnius aufgegriffen und Russland daran erinnert, dass die drei Ostseestaaten seit nunmehr 14 Jahren souverän sind und nicht mehr zum Einflussbereich Moskaus zählen. Schon nach Kriegsende 1945 traten die USA für die Freiheit des Baltikums ein. Washington erkannte nie die Besetzung der baltischen Länder durch die Sowjetunion an. Und 1991 waren es wiederum die USA, die schnell die strategische Bedeutung der nunmehr unabhängigen Ostseeanrainer erkannten und den aufstrebenden Republiken auch finanziell halfen, sich von Moskau loszulösen.

Nach Ansicht des Politologen Lejins hatten die USA wesentlichen Einfluss auf die Aufnahme der baltischen Länder in die Nato. Außerdem übte Washington Druck auf die EU aus, worauf auch sie den Balten eine Mitgliedschaft ermöglichte. „Die USA haben eine Strategie, die EU nicht“, sagt Lejins und hält mit seiner harschen Kritik nicht zurück. „Bushs Besuch in Lettland und dann auch in Georgien zeigt, dass er im Gegensatz zu Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien die Fahrtrichtung in Russland verstanden hat: Putin will zurück zur Sowjetmacht“.

Das Verhältnis der drei baltischen Staaten zu ihrem großen Nachbarn im Osten ist weiterhin von Misstrauen geprägt. Grenzverträge zwischen den EU-Staaten Estland und Lettland auf der einen und Russland auf der anderen Seite sind immer noch nicht unterschrieben. In Tallinn und Riga ist man enttäuscht über die lasche Haltung der EU. Um die wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland nicht aufs Spiel zu setzen, halte sich Brüssel sehr zurück, sagt ein lettischer Diplomat.

Lettlands Präsidentin Vike-Freiberga will dennoch – als einzige der baltischen Staatschefs – am Montag nach Moskau reisen. Bei den Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs will sie deutlich machen, dass für die Balten nach dem Ende des Hitler-Faschismus eine neue „brutale Okkupation durch eine andere totalitäre Macht, die Sowjetunion“ begann. Scharfe Töne, die durch Bushs Besuch in Riga zusätzlich Gewicht erhalten.

Helmut Steuer[Riga]

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