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Politik: Die bayerische Plage Von Bernd Ulrich

Manches an der deutschen Krise ist richtig unheimlich: Vieles, was noch vor wenigen Jahren den Aufstieg möglich machte, hat sich wie von Geisterhand zum Beschleuniger des Abstiegs verwandelt. Die Machtteilung zwischen Bundestag und Bundesrat sorgte lange dafür, dass die Früchte des Aufstiegs zur Zufriedenheit aller verteilt wurden.

Manches an der deutschen Krise ist richtig unheimlich: Vieles, was noch vor wenigen Jahren den Aufstieg möglich machte, hat sich wie von Geisterhand zum Beschleuniger des Abstiegs verwandelt. Die Machtteilung zwischen Bundestag und Bundesrat sorgte lange dafür, dass die Früchte des Aufstiegs zur Zufriedenheit aller verteilt wurden. Heute führt die föderale Konstruktion zum Verschwinden von politischer Verantwortung. Eine andere Machtteilung ist ebenfalls von der Produktiv zur Destruktivkraft verkommen – die zwischen CDU und CSU.

Vormals diente sie dazu, die politische Rechte zu integrieren und ein Gegengewicht zur mitregierenden FDP zu bilden. Außerdem war sie recht unterhaltsam, bis auch in Bayern die Kernigen durch die Kernlosen ersetzt wurden. Heute hingegen verwischt auch diese Machtteilung Verantwortung, und die mit der Wiedervereinigung kleiner gewordene Partei aus Bayern überbläht ihre Macht.

Seit mittlerweile fast drei Jahren sorgt Edmund Stoibers CSU dafür, dass die Opposition keinen klaren Kurs fährt. Zu Zeiten seiner Kanzlerkandidatur versuchte er, die SPD zugleich links wie rechts zu überholen. Seine Niederlage brachte die CSU nicht etwa von dieser Strategie ab. Im Gegenteil. Seit sich Angela Merkel vor einem Jahr entschlossen hat, der Agenda des Kanzlers eine Agenda Plus entgegenzusetzen, damit erstmals Kontur zeigte und ins Risiko ging – seitdem tut die CSU alles, um diesen Ansatz von Klarheit zu verwischen.

Nun bläst man zum Halali gegen Angela Merkel. Das zeigt sich besonders an einer scheinbar harmlosen Bemerkung von CSU-Landesgruppenchef Michael Glos: Man solle sich mit einer Einigung zwischen den Schwesterparteien Zeit lassen. Ein Realist, wer Böses dabei denkt. Die CDU-Chefin muss beim nächsten Parteitag eine durchgerechnete und in sich kohärente Gesundheits- und Steuerreform vorlegen. Das kann nur gelingen, wenn sie sich vorher mit der CSU einigt. Weil Merkel einen Reformbeschluss mit CSU-Vorbehalt schon einmal hatte, stünde sie mit leeren Händen da, schwach und diffus. Möglich ist eine solche destruktive Strategie der CSU nur, weil sie sich auf einem CDU-Parteitag nie stellen muss – politische Verantwortung verschwindet, Kontur löst sich auf. Zwischen Merkel und Stoiber geht es weniger um rechts oder links, neoliberal oder sozial, es geht um: klar oder unklar.

Die Kritik an der bayerischen Strategie zielt weder auf Merkel noch auf deren Kanzlerkandidatur im Jahre 2006. Die wird bei einem Niedergang nicht mehr Mitleid ernten, als sie selbst bei den Abstürzen anderer aufbrachte. Es geht um mehr: In der SPD werden zurzeit entgegengesetzte Schlüsse aus dem Lichtchen am Ende des Tunnels gezogen. Die einen sagen, dass sich Reformieren doch mit Machterhalt vereinbaren lässt und wollen weitermachen. Die anderen meinen, dass man die Agenda mit letzter Kraft überstehen könne – mehr nicht. Letztere sind stärker. Es besteht also die eminente Gefahr von zwei weiteren Jahren Reformpause, wenn die Union nicht den Wettbewerb um die Agenda Plus eröffnet.

Reaktionär ist die CSU seit langem nicht mehr, regressiv ist sie schon. Soll die Union wirklich noch einmal gegen Schröder antreten, indem sie ihn zugleich links und rechts überholt? Oder will sie die Menschen vor der Wahl von dem überzeugen, was sie danach tun wird? Will die CSU das wirklich verhindern? Manches an der deutschen Krise ist richtig unheimlich.

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