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Politik: „Die Behörden sind Teil der Bedrohung“

Michel Friedman ist bestürzt über den Mordaufruf auf einer Neonazi-CD, an der V-Leute des Verfassungsschutzes mitgewirkt haben

Von Frank Jansen

Der Verfassungsschutz gerät angesichts der doppelten V-Mann-Affäre zunehmend in die Kritik. Im Mittelpunkt steht vor allem der Einsatz von zwei Spitzeln, die am Vertrieb der Neonazi-CD „Noten des Hasses“ beteiligt waren. Auf der Platte ruft die Band „White Aryan Rebels“ in dem Song „Die Kugel ist für dich“ zum Mord am Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, und weiteren Prominenten auf. „Dass die Sicherheitsbehörden mittlerweile ein Teil der Bedrohung geworden sind, erschüttert und verunsichert mich“, sagte der seit Jahren von Neonazis verfolgte Friedman dem Tagesspiegel. Dies könne politisch nicht hingenommen werden. Auch die von den „White Aryan Rebels“ ebenfalls attackierte frühere Fernsehmoderatorin Mo Asumang reagierte bestürzt: „Ich möchte mir nicht vorstellen, dass der Verfassungsschutz gewusst hat, was da ablief. Dann würde ich an allem zweifeln.“ Asumang sah sich nach Erscheinen der CD mit dem Mordaufruf im letzten Jahr gezwungen, „Maßnahmen für die persönliche Sicherheit“ zu treffen.

Bei den zwei V-Männern handelt es sich um den Cottbuser Neonazi Toni S., der für Brandenburgs Verfassungsschutz tätig war, und um den Sachsen Mirko H., der im Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz in der rechten Szene spionierte. Toni S. sitzt seit einer umstrittenen Razzia der Berliner Polizei gegen die „White Aryan Rebels“ in Untersuchungshaft, der Szene-Anführer Mirko H. verbüßt bereits eine zweijährige Haftstrafe wegen einschlägiger Straftaten. Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat, wie berichtet, gegen H. inzwischen wieder eine Anklage erhoben. Dem einstigen V-Mann wird neben weiteren Delikten vorgeworfen, er habe sich an Produktion und Vertrieb von „Noten des Hasses“ beteiligt. Nach Informationen des Tagesspiegels waren demnach zwei der mutmaßlich drei Neonazis, die knapp 3000 Exemplare der CD mit den Mordaufrufen in Umlauf brachten, V-Männer des Verfassungsschutzes.

Schon vor zwei Wochen, als das Ausmaß der Affäre noch nicht vollständig zu erkennen war, hatten die innenpolitischen Sprecher von Union, FDP und PDS gefordert, der Innenausschuss des Bundestages müsse zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Diese wird nun an diesem Donnerstag stattfinden. Das Bundesinnenministerium hat einen Bericht über die Flutkatastrophe und „über den Einsatz von V-Leuten zur Aufklärung der rechtsextremistischen Musikszene“ angekündigt. Zunächst hatte ein Sprecher des Ministeriums die Forderung nach der Sondersitzung als „Show“ abgetan.

„Wir erwarten, dass Bundesinnenminister Otto Schily und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Rede und Antwort stehen“, sagte der Vizechef der Unionsfraktion, Wolfgang Bosbach, dem Tagesspiegel. Es reiche nicht, dass Innen-Staatssekretär Claus Henning Schapper in der vergangenen Woche das zur Geheimhaltung verpflichtete Parlamentarische Kontrollgremium unterrichtete. Ähnlich äußerten sich die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen von FDP und PDS, Max Stadler und Petra Pau. Die Berliner Grünen gehen noch einen Schritt weiter: Sie verlangen, dass die Sicherheitsbehörden nicht mehr alleine über V-Mann-Einsätze entscheiden – sondern nur noch in Absprache mit Parlamentarischen Kontrollkommissionen. Tenor der Grünen: „Es reicht!“

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