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Politik: "Die Betonung der Kontinuität ist Voraussetzung für neue Spielräume"

JOSCHKA FISCHER (50), seit einer Woche erster grüner Außenminister, ist auf Antrittstour.Paris, London und Warschau hat er in der vergangenen Woche bereist, es folgten Washington und New York.

JOSCHKA FISCHER (50), seit einer Woche erster grüner Außenminister, ist auf Antrittstour.Paris, London und Warschau hat er in der vergangenen Woche bereist, es folgten Washington und New York.Heute ist er bei der EU und der NATO in Brüssel, kommende Woche lautet das Ziel Moskau.Eines beteuerte er bislang immer wieder: Kontinuität und Verläßlichkeit der deutschen Außenpolitik.Mit ihm sprach unser Bonner Korrespondent Thomas Kröter

TAGESSPIEGEL: In der ersten Runde Ihrer Antrittsbesuche war "Kontinuität" der zentrale Begriff.Läßt die Häufigkeit der Betonung, daß die neue Regierung keine andere Außenpolitik macht als die alte, darauf schließen, wie groß die Besorgnis der Partner wegen Rot-Grün ist?

FISCHER: Nein.Aber es gab Fragen.Über meine Partei hat es viele Mißverständnisse gegeben, an denen wir nicht ganz schuldlos waren.Die Vorstellung oder die Befürchtung, Deutschland könne vom Pfad der Berechenbarkeit, der verläßlichen Einbindung in Europa und das transatlantische Bündnis abweichen und wieder eigene Wege gehen - all diese Fragezeichen auf dem Hintergrund unserer Geschichte, müssen ausgeräumt werden und ich glaube, sie konnten zu wesentlichen Teilen ausgeräumt werden.Insofern ist die Betonung der Kontinuität die Voraussetzung für neue Spielräume.Vertrauenskapital zu bilden für die neue Bundesregierung unter Gerhard Schröder eingebunden in das Konzert der Interessen unserer Partner, um dann unsere Spielräume nutzen zu können: Das ist unsere Aufgabe.

TAGESSPIEGEL: Sie haben ein Wort gebraucht in Bezug auf die Partner, das Sie unbefangener benutzen als ihr Vorgänger: Interessen - deutsche Interessen.Kann man daraus schließen, daß sich Joschka Fischer einreiht unter die Vertreter eines Konzeptes der selbstbewußten Nation?

FISCHER: Quatsch.Deutschland wurde allzu oft mit dem Vorwurf konfrontiert, die Deutschen hätten Interessen, aber sie redeten nicht darüber.Das macht mißtrauisch.Man muß Vertrauenskapital bilden und dann die Interessen auf den Tisch legen.Aber die These von der selbstbewußten Nation - das ist das Gegenteil dessen, was im Interesse unseres Landes liegt.Der stärkere Bezug auf das eigene Ego, auf das eigene Prestige würde unsere Interessen nur schädigen und Mißtrauen produzieren.Das hängt nun einmal mit unserer Geschichte zusammen, mit unserer geographischen Lage und unserem wirtschaftlichen Potential.Gerade die Einbindung unserer Interessen in das europäische Interessengeflecht hat Deutschland viel genutzt.Daran sollten wir festhalten.

TAGESSPIEGEL: Aber es ist schon eine Nuance, wenn Sie, statt sie mit diplomatischen Formeln zu verkleistern, etwa in Warschau durchaus im Einvernehmen mit dem polnischen Außenminister Interessenunterschiede und gegenseitige Ängste klar benannt haben.Ist dieser neue Stil Programm?

FISCHER: Das sollten wir nicht gleich ins Programmatische überhöhen.Ich kann nur sagen: Die deutsche Außenpolitik muß auf Interessen und auf Prinzipien gestützt sein.Wir müssen immer mit der Gegenwart unserer Geschichte rechnen.Das können wir uns nicht aussuchen, auch als jüngere Generation nicht.Das gehört zur Realität unseres Landes, zur Realität der Sicht von Außen auf unser Land.Wir müssen mit der Macht der kollektiven Erinnerung leben, und wenn man diese Faktoren klar benennt, wenn man zu einem offenen Dialog auch über strittige Punkte mit unseren Freunden und Nachbarn kommt, ist das die beste Grundlage für eine gemeinsame Zukunftsgestaltung.

TAGESSPIEGEL: Es scheint, als gebe es auch in den neuen Regierungen der Partnerstaaten eher eine Tendenz, sachlicher und offener über Interessenunterschiede zu reden.Könnte das eine Chance sein, sie besser zu bewältigen?

FISCHER: Wir sind dabei, neue Stockwerke des Hauses Europa zu bauen.Wenn Sie die Statik eines Hauses erkunden wollen, dürfen sie nicht drumrum reden.Sie brauchen belastbare Berechnungen auch mit entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen.Die Winkel müssen stimmen, die Belastungen, der Druck auf dem Bauwerk - alles muß ausgerechnet sein.Entsprechend müssen Konstruktion und Stärke des Mauerwerkes ausgelegt sein.Man braucht eine Vision von einem Haus.Aber ihre Realisierung in einem konkreten Bauwerk setzt sich aus einer Vielzahl nüchterner Einzelschritte zusammen.

TAGESSPIEGEL: Nehmen wir einen kleinen Baustein.Sie haben mit Ihrem britischen Amtskollegen Robin Cook die Idee eines europäischen Menschenrechtsberichts entwickelt.Für die Phase der deutschen EU-Präsidentschaft mit den Entscheidungen über die Reform der Gemeinschaft ein ergeiziges Projekt.Wie darf man sich das vorstellen?

FISCHER: Es soll ein Menschenrechtsbericht der Europäischen Union sein, der einen ganz konkreten Handlungsdruck ausübt.Wir sollten prüfen, wie weit wir weitere Partner finden.Das soll keine deutsch-britische Initiative sein, die irgendjemanden ausschließt.Ich halte das Projekt für notwendig, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Erfahrung, wie wichtig Menschenrechte im Zeitalter der Globalisierung sind.Sie sind eine zentrale Voraussetzung auch für eine freie Wirtschaft.

TAGESSPIEGEL: Wie darf man sich das vorstellen? Die EU beurteilt die Gewährleistung der Menschenrechte in der Welt oder nur in ihrem eigenen Gebiet?

FISCHER: Über die konkrete Ausgestaltung diskutieren wir noch.Die Frage ist auch, wie weit der Ministerrat, die Kommission, das Europaparlament einbezogen werden.

TAGESSPIEGEL: Ist die Behandlung der Menschenrechte der zentrale neue außenpolitische Akzent der rot-grünen Bundesregierung?

FISCHER: Jedenfalls ist es ein ganz zentraler neuer Akzent.Dazu kommen internationale Umweltfragen und die Konsequenzen, die sich aus der Globalisierung ergeben.Aber noch wichtiger als neue Akzente ist die Fortführung der europäischen Hauptaufgabe: Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union.Dabei werden nicht neue Akzente gesetzt, sondern neue Stockwerke des Hauses Europa gebaut.Da bauen wir auch kein neues Haus.Aber ich hoffe, wir können es in wesentlichen Teilen vollenden.Hier zu wirklichen Fortschritten zu kommen, ist mir wichtiger als neue Akzente zu setzen.

TAGESSPIEGEL: Sie haben ähnlich wie den Kassensturz in der Finanzpolitik eine Bestandsaufnahme der Außenpolitik angekündigt.Was muß man sich darunter vorstellen?

FISCHER: Darunter dürfen Sie sich vorstellen, daß ein neuer Minister einer neuen Regierung die bisherige Politik im internen Dialog mit den leitenden Beamten des Hauses und den Fachabteilungen überprüft.Wo stehen wir in allen Politikfeldern? Was führen wir fort? Wie müssen wir neue Akzente setzen? Was sollten wir in Zukunft besser lassen? Diese Fragen müssen beantwortet werden.Danach müssen konkrete, praktische Schlüsse daraus gezogen werden.Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, daß man auch in der Außenpolitik eine Eröffnungsbilanz macht.

TAGESSPIEGEL: Wann wird das geschehen?

FISCHER: Demnächst.

TAGESSPIEGEL: Die neue Bundesregierung hat - einige sagen - das Glück gehabt, im Zeichen der Kosovo-Krise ins Amt zu kommen, weil er dies gleich zu Beginn ihre Verantwortung klargemacht hat.Sehen Sie das auch so?

FISCHER: Nein.Mir wäre es lieber gewesen, wir wären nicht gleich in diesen schwierigen Fall hineingestoßen worden, sogar ohne daß wir schon an der Regierung waren.Aber wir konnten es uns nicht aussuchen.Wir wurden gewählt und wollten, daß wir gewählt werden.Wir haben die Verantwortung.Der müssen wir jetzt gerecht werden.

TAGESSPIEGEL: Wie wird das aussehen in Sachen Irak.Könnte da nicht die nächste große Herausforderung vor Ihnen stehen?

FISCHER: Sie steht vor uns.Da brauchen wir nicht herumzureden.Es geht gewissermaßen Schlag auf Schlag.Aber darüber will ich nicht klagen, darüber dürfen wir alle, auch und gerade meine Partei nicht klagen.Denn das wollten wir: Verantwortung.Damit müssen wir jetzt fertig werden.Wir unterstützen den Versuch des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, auf Saddam Hussein einzuwirken.Dies geschieht auf vielfältige Art und Weise.Wir sind in dieser Frage sicherlich nicht die geeignetsten.Aber es gibt andere: Die Russen, die Franzosen.Sie haben einen besseren Zugang, um eine friedliche Lösung zu erreichen.Aber friedliche Lösung kann nur heißen: Die einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates müssen voll erfüllt werden.

TAGESSPIEGEL: Die Entwicklung im Kosovo zeigt: Es könnte nötig sein, daß Deutschland unabhängig davon, ob es am Ende wirklich zum Einsatz von Gewalt kommt, bereit sein müßte, sich an der Erstellung einer entsprechenden Drohkolisse zu beteiligen.

FISCHER: Das kann man nicht vergleichen.Das muß man streng auf den Einzelfall bezogen diskutieren.Kosovo liegt in Europa.Hier gibt es eine unmittelbare Kriegsgefahr in Europa.Wir sind auf vielfältige Art und Weise mit der Krisenregion verbunden.Eine starke Minderheit lebt hier im Land.Das sind alles Dinge die eine Rolle spielen.Die Lage im Irak ist eine andere.Ich hoffe, daß dort die Einsicht Raum greift, daß Saddam Hussein mit seiner Aktion isoliert ist, daß er die UN-Resolution erfüllen muß, wenn er die Lage für seine Bevölkerung verbessern will.

TAGESSPIEGEL: Sie gehen also nicht davon aus, daß Deutschland sich beteiligen muß am Aufbau einer Aktion gegen den Irak?

FISCHER: Das ist eine reine Spekulation.Daher werde ich mich dazu nicht äußern.Dazu sind die Dinge zu ernst.Wenn es um Krieg und Frieden geht, werden Sie von mir nur eine Antwort im Indikativ bekommen.Keine Spekulationen.

THOMAS KRÖTER

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