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Politik: Die Bundeswehr braucht mehr Von Christoph von Marschall

Langsam wird einem bange um die deutschen Soldaten. Beim NatoGipfel in wenigen Tagen wird die Bundesregierung den internationalen Druck spüren, der Allianz eine Rolle im Irak zu geben – und der Frage nach ihrer Beteiligung dadurch ausweichen, dass sie den deutschen Afghanistan-Einsatz ausweitet, ins unwegsame Gebiet um Faisabad, wo sich die Bundeswehr nicht mehr selbst schützen kann.

Langsam wird einem bange um die deutschen Soldaten. Beim NatoGipfel in wenigen Tagen wird die Bundesregierung den internationalen Druck spüren, der Allianz eine Rolle im Irak zu geben – und der Frage nach ihrer Beteiligung dadurch ausweichen, dass sie den deutschen Afghanistan-Einsatz ausweitet, ins unwegsame Gebiet um Faisabad, wo sich die Bundeswehr nicht mehr selbst schützen kann. Und in dieser dramatischen Zeit fehlt der kranke Verteidigungsminister. Peter Struck gilt im Kabinett als durchsetzungsstark. Aber auch unter ihm ging die finanzielle Auszehrung weiter, und die Entsendepolitik nähert sich einem russischen Roulette. Wie soll das erst ohne ihn werden?

Man wagt es kaum noch, über den Wehretat zu klagen. Wenn die Mittel für die Bildung nicht reichen, wenn Rentner und sozial Schwache geschröpft werden, klingt der Ruf nach mehr Geld fürs Militär wie nicht von dieser Welt. Und doch muss es gesagt werden: Seit Mitte der 90er Jahre ist der Bundeshaushalt um gut zehn Prozent gewachsen, von rund 235 auf 260 Milliarden Euro. Der Wehretat blieb gleich, knapp 24 Milliarden, trotz Inflation und neuer Aufgaben. Er ist also relativ um zehn Prozent gesunken.

Und das ganz gegen den Anspruch der Regierung. Auf dem Balkan konnte Europa das Morden nicht stoppen ohne die Hilfe der USA. Ob Bosnien, ob Kosovo, jedes Mal folgte der Schwur: Wir schämen uns, wir investieren ins Militär. Dann kamen neue Einsätze in ferneren Gegenden hinzu. Deutschland lernte, dass wir nicht in der Lage sind, Soldaten samt Ausrüstung auf dem Luftweg nach Afghanistan zu bringen – und schon gar nicht, sie herauszuholen, wenn es brenzlig wird. Wieder hieß es: Wir schaffen das fehlende Material an. Tatsächlich dient der Wehretat seit Jahren als Steinbruch für die Haushaltsprobleme. Bei keiner anderen europäischen Mittelmacht ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit so groß. Frankreich gibt 2,6 Prozent seines Bruttinlandsprodukts für Verteidigung aus, Großbritannien 2,4. Deutschland aber ist mit nur 1,5 Prozent fast Schlusslicht in Europa.

Das hat Folgen für die militärischen Fähigkeiten, auch wenn das die Regierung Schröder nicht immer wahrhaben will. Sie möchte in ihrem Afghanistaneinsatz das Gegenmodell zu Irak sehen. Es stimmt, die Bundeswehr leidet in Kabul und Kundus nicht unter täglichen Anschlägen, hat sich die Afghanen nicht zu Feinden gemacht. Aber die Bilanz ist ernüchternd. Die Deutschen tun wenig für eine verlässliche Befriedung, verwalten eine trügerische Stabilität, sind bessere Sozialhelfer. Sie sind unverzichtbar für die Vorbereitung landesweiter Wahlen. Aber ihre eigene Sicherheit hängt davon ab, dass sie nichts gegen den Drogenanbau unternehmen und sich nicht mit den regionalen Warlords anlegen. Dafür sind sie viel zu schwach. Sie reparieren Straßen und Brücken – mit dem unerwünschten Nebeneffekt, dass sie Drogenhändlern die Arbeit erleichtern.

Nun will Rot-Grün ein weiteres Aufbauteam nach Faisabad entsenden, 200 Kilometer von Kundus ins Gebirge – ohne die Truppen signifikant zu verstärken, ohne Lufttransport zu garantieren. Die Hauptverbindung führt über mehrere Stunden Schotterpiste. Wer holt die Deutschen dort raus, wenn es gefährlich wird? Deutschland braucht gerade jetzt einen wie Struck, der beides kann: Kanzler Schröder und Vizekanzler Fischer, wo nötig, zu widersprechen – oder den Soldaten und den Bürgern erklären, warum dieses Risiko zumutbar ist.

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