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Die CDU nach Merkel: Fronten der Zukunft

Nach seiner wenig glücklichen Zeit als Verteidigungsminister versucht sich de Maizière jetzt im Innenministerium in Position zu bringen: als starker Mann der CDU, womöglich gar als nächster Kanzlerkandidat. Wäre da nicht Ursula von der Leyen. Denn sie ist die stärkste Waffe gegen die SPD.

Da pfeift er, der Wind. Kühl übers Feld der Politik. Thomas de Maizière hat sich einen Schal umgelegt, der ihn auf dem Platz im Bendler-Block schützen soll. Das Abschiedsgeschenk im großen Rahmen quittiert er schmallippig, so dass es schon gar nicht mehr wie ein Lächeln aussieht. Und von einem Geschenk kann bei diesem Abschied auch nicht recht die Rede sein. Ursula von der Leyen steht, weidlich passend, dunkel gewandet beim Zapfenstreich neben ihm. Diesmal fällt sie ihm nicht wie im Schloss Bellevue beim Bundespräsidenten überfallartig um den Hals, um ihn zu herzen. Das wäre unpassend. Wie auch ein Lächeln in diesem Moment. In diesem Moment würde de Maizière sich auch nicht überrumpeln lassen, gute Miene zum Spiel zu machen.

Zum Abschied schenkt er den anderen nichts. Aber sich selbst. Und deshalb muss davon noch einmal die Rede sein: von seiner Rede. Im Casino, auch das ein sinnfälliger Ort, weil er mit vielen Assoziationen spielt, verabschiedet sich de Maizière gewissermaßen unter Absingen schmutziger Lieder. „In der Bundeswehr ist natürlich vieles nicht in Ordnung, nicht nur im Rüstungsbereich“, sagt er. Und dass er die Unzufriedenheit in der Truppe mit der Reform nicht beunruhigend findet. „Es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre. Ziel der Neuausrichtung war es nicht und konnte es nicht sein, die Zufriedenheit der Soldaten und Mitarbeiter zu erhöhen.“ Ziel sei es, den Auftrag der Bundeswehr zu erfüllen. Und an die wichtigsten europäischen Partner richtet er diese Sätze: „Deutschland braucht von niemandem in Europa Belehrungen über Art und Ausmaß unserer internationalen Einsätze – auch nicht aus Frankreich und Großbritannien.“ Die Bundesregierung habe im Parlament noch nie eine Niederlage bei einer Abstimmung über einen Einsatz erlebt. Womit er die Briten meint. Den Franzosen versetzt er den Schlag, dass das militärische Engagement Deutschlands ihres übertreffe.

Anwesende, die ihren Namen natürlich angesichts der angespannten Situation, um nicht zu sagen: Frontstellungen, nicht in der Zeitung lesen wollen, fanden die Lagebeschreibung gespenstisch. Jawohl, Herr Minister. Denn dass vieles in der Armee nicht in Ordnung sei, wie de Maizière wetterte, ist staunenswert nach nunmehr auch seinen drei Jahren im Amt. Und nicht unbedingt „normal für Institutionen dieser Größenordnung“. Stattdessen wirkt es, als hätte nicht er regiert, sondern General Schlendrian.

Der allerdings hätte gewusst, dass in der Bundeswehr Paragraf 12 des Soldatengesetzes großgeschrieben wird: die Pflicht zur Kameradschaft. Die verbietet, einfach andere, und seien sie Staatssekretäre, die als Paladine empfunden werden wie Stephane Beemelmans, zu Schuldigen am Drohnen-Desaster zu machen. Nach dem Motto des Liedermachers Ulrich Roski: Seid nicht feige, lasst mich hintern Baum. Das hat seine Wirkung, seine Streuwirkung in die Truppe, ob politisch oder soldatisch, nicht verfehlt – von wegen „friendly fire“. Aber de Maizière ist ja kein General.

Sondern ein Politiker. Und als solcher hat er die engen und engsten Verbündeten in einer Weise angegriffen, dass nicht nur den Franzosen die Empörung das diplomatische Krisenreaktionswort „befremdet“ wert war. Auch in den gern zitierten Koalitionskreisen und ohnedies darüber hinaus gilt das. Hätte er nicht schon seinen Abschied nehmen müssen, danach wäre er in seiner Verteidigungsstellung nicht mehr zu halten gewesen. So wird über seine Rede geredet, nur beiseite gesprochen, noch nicht öffentlich.

De Maizière hat sich ins Innenressort zurückziehen lassen

Thomas de Maizière hat sich ins Ressort für Inneres zurückziehen lassen. Dass er sich da jetzt mit Arbeit eindeckt, geradezu befeuern lässt, um zu überwinden, was war, ist inzwischen auch eher ein öffentliches Geheimnis. Jetzt will er wieder administrieren, etwas, von dem man in der Zeit vor dem Verteidigungsministerium sagte, dass er es könne. Um sich zu erholen, politisch. Und weil er ja auch überleben will, politisch, wird damit gerechnet, dass er sich in seiner zweiten Runde im Innenressort deutlich konservativer positionieren wird als in der ersten. Denn irgendwann, dermaleinst, wird Wolfgang Schäuble doch nicht mehr in der Regierung und auch in der CDU nicht mehr im Präsidium sitzen, und dann ist die Position des großen Konservativen frei.

Dafür allerdings muss er konservativer werden. Denn binnenpolitisch ist er noch nicht groß genug. Der Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, das mit seinem glänzenden Wahlergebnis der Bundeskanzlerin die Wahl gewann, hieß Wolfgang Schäuble. Aus Sachsen, für das de Maizière in den Bundestag eingezogen ist, ist das so nicht zu berichten; zumal er auch dort nicht so unumstritten ist wie Schäuble in seinem Ländle. Und selbst in Sachsen genießt der Respekt. De Maizière hingegen wird bis heute und bis in höchste Unionskreise dort mit einiger Reserve betrachtet. Oder, doppeldeutig gesagt: Da hat er noch Reserven.

So wird sich Thomas de Maizière, der sich gerade neu findet, auch rollenmäßig neu erfinden müssen. Er wird nicht mehr hinter dem Rücken Schäubles abschätzig über ihn reden dürfen. Hier muss er sich im Versöhnen üben, versöhnen auch mit Positionen – zum Beispiel zum Vorrang der Inneren Sicherheit –, denen er vorher eher abwehrend gegenüberstand. Das Amtsverständnis als das des obersten Verfassungshüters und Sicherheitsministers wird er sich womöglich erkämpfen können. Ob die Zugeneigtheit des großen Alten der CDU, steht dahin.

Dagegen spricht nicht die politisch wenig kluge Rede zum Abschied, die eine deutliche persönliche Verletztheit beim vermeintlichen Preußen im Kabinett offenbart hat. Obwohl die eine ist, die Schäuble für sich selbst niemals zugelassen hat, weil er, der politisch und menschlich so viel öfter verletzt wurde, ein Ausbund an Selbstdisziplin ist. Und ohne jedes Selbstmitleid. Auch nicht, dass de Maizière sich bisher als geeignet ansieht, oder vielleicht ansah, jedes Amt auszufüllen, das Schäuble vor ihm ausfüllt, sei es Innenminister, sei es Finanzminister. Beide waren auf vielen Posten Minister. Vielmehr sieht der Finanzminister, ein Kanzler der eigenen Art, ein Schatzkanzler nämlich, in de Maizières Nachfolgerin mehr. Etwas Besonderes.

Die Ungediente führt von vorn

Ursula von der Leyen ist Wolfgang Schäuble zugeneigt und er ihr. Dafür gibt es Anzeichen. Sie ist, was Kabinettskollegen, alte wie neue, auch schon beobachtet haben, die Einzige, die zuweilen seinen Rollstuhl schieben darf. Er ist, wenn nicht der Einzige, dann aber doch der, der ihr sagt, dass es nun aber mal genug sei mit den Provokationen, nicht zuletzt denen der eigenen Leute, und sie hört auf ihn. Was Schäuble in ihr sieht, ist ihre politische Potenz, ihr Wert für eine sich wandelnde CDU. Sie potenziert den Wert, de Maizière nicht. Sie ist eine der schärfsten Waffen gegen die SPD. De Maizière muss dagegen aufs Neue sein Profil schärfen. Ohne seinen Beemelmans, mit dem er aus dem Innenministerium kam.

Das stählerne „Röschen“ hat diesen Staatssekretär im Amt belassen und auch sonst einiges gemacht, das sich als Strategie der flexiblen Antwort auf jederlei Form von Bedrohung auslegen lässt. Schon ausgelegt wird, bis hinein in die CDU-Spitze. Und in die SPD-Spitze, deren vorgeschobene Beobachter in der Regierung berichten können: Leyen nimmt einfach ihre bisherigen Themen mit, Familie und Frauen, Arbeitsmarkt, Soziales. Und sie deutet nebenbei ihre Richtung in der Sicherheitspolitik an. Das Verteidigungsministerium als Querschnittsressort. Zuletzt machte das Volker Rühe so, und der war der einzige wirklich erfolgreiche Verteidigungsminister der vergangenen Jahrzehnte. Nur ein Mal stolperte er über etwas, und zwar über seine eigenen Füße beim Besuch der Truppe in Somalia. Da lag er im Staub. Aber auch nur kurz.

Leyens Fürsorge für die Familien der Soldaten und deren psychisches Wohlergehen; ihre Aussage, dass die, die in ihrem Einsatz in der Ferne die Heimat verteidigen, sichere Ausrüstung erhalten, koste es, was es solle; ihre Erklärung, dass Deutschland mehr tun wird, um Syrien und damit die Welt von der Geißel Chemiewaffen zu befreien – damit führt sie, die Ungediente, von vorne. Damit zeigt sie, die sich erst noch die Dienstgrade erarbeiten will, Verständnis für das Selbstverständnis von Soldaten. Dass zu alledem ein Controlling von Rüstungsprojekten das eigene Überleben sichert, denken die sich auch, seit de Maizière noch mehr. Mit dem Generalinspekteur ist Leyen schon auf Augenhöhe. Und wie Rühe damals ist Leyen heute CDU-Vizevorsitzende.

Leyen könnte über ihr Amt hinauswachsen

Was aber nicht nur positiv sein muss. Denn Rühe, der geborene Kandidat für den Nato-Generalsekretär, den auch die USA favorisiert hatten, wurde von den Deutschen, namentlich von der Bundeskanzlerin, nicht als Kandidat benannt, er sollte nicht zu groß zu werden. Das kann auch Leyen so gehen: dass sie kleingehalten wird, wenn sie übers Amt hinauszuwachsen droht. Und das könnte passieren, das eine wie das andere, weil sie als in Brüssel geborenes Kind eines deutschen EU-Europäers gut vernetzt ist, weil sie Französisch und Englisch spricht, in den USA studiert hat, die erste Frau an der Spitze des Bundesministeriums für Verteidigung ist.

Auf ihren Vorgänger mit dem klangvollen Namen traf dann auch zu, was der Alte Fritz mal sagte: Ein großer General braucht auch Fortüne. Der Minister de Maizière hatte keine. Wer weiß, vielleicht wird die Ministerin von der Leyen auch noch die am Boden liegende Frauenförderung aufrichten. 30 Prozent Generalinnen auf der Kommandeurtagung, und die große Politik wird sich beeilen, Leyen zu umarmen. Da wird sie sich dann gar nicht wehren können. Sie macht ja auch zu allem eine gute Miene. Es ist ihr Spiel. Ein kühles.

Im großen Rahmen, den de Maizière auf dem Platz zum Abschied erhielt, steckte übrigens als Geschenk vom Wachbataillon die Urkunde zum Zapfenstreich, mit den von ihm gewünschten Liedern. Neben „Großer Gott, wir loben dich“ war es „Live is Life“ von der Gruppe Opus, was übersetzt „das Werk“ heißt. Ja, so spielt das Leben.

Erschienen auf der Dritten Seite.

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