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Lädt alle CDU-Mitglieder ein, um das neue Grundsatzprogramm zu streiten: CDU-Chef Friedrich Merz.

© Michele Tantussi/REUTERS

Die CDU will endlich debattieren: „Frische Luft muss rein“

Die Christdemokraten haben die Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm begonnen. Christliche Werte bleiben wichtig, aber Boxer Muhammad Ali hat auch etwas zu sagen.

Von Hans Monath

Eine Boxlegende soll der CDU in der Opposition wieder geistigen Schwung geben, zumindest wenn es nach Andreas Rödder geht. Der Historiker ist Vorsitzender der Kommission „Wertefundament und Grundlagen der CDU“. Den Entwurf dieses Gremiums für die Präambel einer neuen „Grundwertecharta“ der CDU billigte das Parteipräsidium am Montag in Berlin.

„Wir müssen uns eigentlich an das Prinzip von Muhammad Ali halten“, empfahl Rödder bei der Vorstellung der von ihm mit erarbeiteten Grundsätze im Konrad-Adenauer-Haus. Er erinnerte an den Ratschlag des Weltmeisters: „Flieg wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene!“

Auch die Christdemokraten müssten „intellektuell wie ein Schmetterling fliegen und wie eine Biene stechen“. Die bei der Bundestagswahl vor acht Monaten abgestrafte Partei müsse wieder grundsätzliche Debatten ausfechten und sie müsse diese „intellektuell satisfaktionsfähig führen“. Die vielen Gäste in der CDU-Parteizentrale spendeten Applaus.

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Ohne die Vorgeschichte ist der Aufbruch, den sich die CDU nun unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz vorgenommen hat, nicht zu verstehen. Denn in 16 Jahren Kanzlerschaft der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel mit wechselnden Regierungspartnern im Bund wurden frühere Säulen christdemokratischer Politik wie die Wehrpflicht oder die Atomkraft ohne lange Debatte beiseite geräumt. Auch weil die Kanzlerin im Zuge der „asymmetrischen Demobilisierung“ eine Polarisierung gegen andere Parteien vermied, hatten viele Christdemokraten schließlich Mühe zu definieren, wofür ihre Partei eigentlich noch stand. Sie fühlten sich geistig entkernt.

Unter Angela Merkel (hier mit Friedrich Merz im Jahr 2001), so empfanden das viele Christdemokraten, verödete die Partei geistig.
Unter Angela Merkel (hier mit Friedrich Merz im Jahr 2001), so empfanden das viele Christdemokraten, verödete die Partei geistig.

© Thomas Koehler/imago images/photothek

Genau das soll sich nun ändern, wenn es nach Merz und Generalsekretär Mario Czaja geht. Vor 15 Jahren wurde das letzte CDU-Grundsatzprogramm beschlossen, die Welt war damals eine völlig andere, wie gleich mehrere Redner betonten. „Heute ist die CDU wieder da, geht in Richtung 30 Prozent“, sagte Parteivize Carsten Linnemann mit Blick auf die aktuellen Umfragewerte.

Linnemann leitet die Arbeit der zehn Fachgruppen zur Ausarbeitung des Gesamtprogramms. Bei der Formulierung der neuen Leitlinien, so versprach er, sei die gesamte Partei eingeladen mitzumachen: „Wir lassen die Türen offen, frische Luft muss rein.“

Parteichef Merz wurde dann selbst grundsätzlich. „Die CDU in Deutschland, so sagen wir ganz selbstbewusst, ist die einzige politische Kraft, die Beständigkeit und Wandel nicht als Gegensätze versteht, sondern als zwei Seiten einer Medaille“, erklärte er und erinnerte an das erste Grundsatzprogramm von 1978.

Nach einigen Seitenhieben auf die „so genannten 68er“ und den namentlich nicht genannten Kanzler, der die „Zeitenwende“ nicht mit politischem Inhalt fülle, zitierte Merz aus dem „Ludwigshafener Programm“ von 1978: „Die CDU will unterschiedliche Standpunkte durch gemeinsame Werte und Ziele verbinden. Politisches Handeln zum Wohle des ganzen Volkes verlangt Führung und die Bereitschaft zum Kompromiss.“ Dies sei nach wie vor gültig.

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Für den Parteichef gilt: „Wenn die Welt im Wandel ist, dann darf die CDU nicht stehenbleiben.“ In der aktuellen Krise nach Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine werde deutlich, dass Freiheit und Sicherheit einander bedingten. „Schulden sind im Grunde nichts anderes als die Weigerung, sich ernsthaft mit der Zukunft zu beschäftigten“, warnte der Vorsitzende. Deutschland habe 30 Jahre Zeit versäumt, „um auf den demografischen Wandel eine angemessene Antwort zu geben, die insbesondere der jungen Generation gerecht wird“.

„Grundlage christdemokratischer Politik ist das christliche Verständnis vom Menschen“, heißt es im Entwurf für die Präambel: „Auf der Basis des christlichen Menschenbildes vereint die CDU soziale, liberale und konservative Haltungen und Anliegen.“ Die CDU stehe aber allen Menschen offen, die ihre Grundwerte teilten. Auch der aus New York City zugeschaltete Rödder, früher ein scharfer Kritiker Merkelscher „Alternativlosigkeit“, verwies auf das christliche Menschenbild. Dieses sei eine enorm wichtige Aussage, meinte er: „Diese Grundwertecharta will sich unterscheiden." Der grundlegende Unterschied liege darin, „dass wir von der individuellen Person ausgehen und nicht von einer Gruppenzugehörigkeit“. Rödder ist auch Kolumnist des Tagesspiegels.

Er war einer der härtesten Kritiker der CDU unter Angela Merkel, nun schrieb der Historiker Andreas Rödder an der Präambel des neuen Grundsatzprogramms mit.
Er war einer der härtesten Kritiker der CDU unter Angela Merkel, nun schrieb der Historiker Andreas Rödder an der Präambel des neuen Grundsatzprogramms mit.

© imago/Sven Simon

Der Text nennt Klimawandel und Umweltzerstörung als Bedrohung für „unser Leben und unsere Vorstellungen“, fordert aber die CDU auch dazu auf, sich als Garanten für Wohlstand und Sicherheit zu präsentieren. Die Christdemokraten erheben in der Präambel den Anspruch, weiter Volkspartei zu sein. „Wir vertrauen auf die Idee der Volkspartei und ihre Bedeutung für unsere Demokratie - heute und in der Zukunft", heißt es.

Rödder und seine Mitautorinnen und -autoren widmen sich allerdings auch den Defiziten, die sie in der CDU sehen und die Hürden darstellen auf dem Weg zu einer modernen Volkspartei – unter anderem die geringe Präsenz von Frauen in der CDU und die Kluft zu Bürgern mit Migrationsgeschichte. „Dies bedeutet, dass in der Zukunft vermehrt Frauen Politik mitgestalten und in der CDU ihre Interessen einbringen, ebenso wie mehr Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte und mehr junge Menschen“, schreiben sie. Bislang wählen überdurchschnittlich viele Ältere die Union. Viele Jüngere stimmten bei der Bundestagswahl für Grüne und FDP.

Mit der Charta soll sich am 15. Juni der Vorstand befassen, beschließen soll sie der Bundesparteitag im September in Hannover. Das Programm soll bis 2024 erarbeitet werden. Als Beleg für die Debattenkultur der CDU führte Merz ein Zitat von des britischen Historikers Timothy Garton Ash an: „Das Ziel besteht nicht darin, dass wir uns alle einig sind. Das Ziel besteht darin, dass wir uns einigen, wie wir miteinander streiten.“

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