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Politik: Die CDU wird den Sturz ihrer Spitze überleben (Kommentar)

Sie werden alle fallen, einer nach dem anderen: Wolfgang Schäuble, Volker Rühe, Jürgen Rüttgers. Schäuble zuerst, auch wenn er nun trotzig ankündigt, wieder als Vorsitzender zu kandidieren.

Sie werden alle fallen, einer nach dem anderen: Wolfgang Schäuble, Volker Rühe, Jürgen Rüttgers. Schäuble zuerst, auch wenn er nun trotzig ankündigt, wieder als Vorsitzender zu kandidieren. Schäuble wird gehen müssen, weil er in das System Kohl verstrickt war. Rühe und Rüttgers werden gehen, weil sie ihre Wahlen nicht gewinnen können und auch, weil nach Schäubles Geständnis niemand aus der Ära Kohl glaubhaft machen kann, er sei unbeteiligt gewesen. Alle haben profitiert im System des Parteivorsitzenden, der groß war als Kanzler.

Und groß auch darin, uns heftig zu erschrecken. Was bleibt da noch, wenn einer, der sich ein Dutzend Mal in seiner Partei und viermal bei den Wählern eine demokratische Legitimation abholen konnte, das Recht gebrochen hat - vermittels der Macht, die Delegierte und Wähler ihm anvertraut haben? Es bleibt Verstörung, bei allen. Aber ist das nur schlecht? Die Kirche, so heißt es, muss stets erneuert werden. Für Volksparteien gilt das nicht minder, für die Demokratie erst recht.

Die Affäre wird Geschichte machen, für die Union und für die deutsche Demokratie. Helmut Kohl hat die Christdemokraten ein Vierteljahrhundert geführt, beinah die Hälfte ihrer gesamten Existenz. Wenn so einer geht, bebt die Erde, hat es schon 1998 immer geheißen. Jetzt bebt sie wirklich, auf eine Weise, die niemand sich hat ausmalen können oder wollen. Doch Erschütterung bis in die Grundfesten ist unvermeidlich, wenn eine Ära endet. Zweimal haben deutsche Volksparteien große Krisen durchlebt: die Union nach Adenauer und Erhard, die SPD nach Brandt, Wehner, Schmidt.

Beide Krisen waren fürchterlich. Anderthalb Jahrzehnte hat die Union gebraucht um Erstarrung und Realitätsverluste zu überwinden und sie hat dabei alles durchgemacht: Führungskrisen, trügerische demoskopische Hochgefühle nahe der absoluten Wählermehrheit, Isolation, Niederlagen, Erneuerung. Die sechzehn Jahre der SPD sind noch frisch in Erinnerung: Inklusive demokratischen Meuchelmords hat auch sie nichts ausgelassen.

Und die Union nach Kohl? Fürchterlich ist ein schwacher Begriff für ihre Lage. Doch gleichzeitig unterstreicht die Spenden-Affäre nur, was die Union ohnehin zu leisten hat: Was sind, was wollen die Christdemokraten nach Helmut Kohl? Wahr ist, dass der Weg der sanften Übergänge nun versperrt ist. Doch das muss kein Nachteil sein, schon gar nicht, wenn ein Zustand bloßgelegt ist, der nach radikalen Schnitten schreit.

Für die Christdemokraten steckt in der Spenden-Affäre, wie in jeder Krise, eine Chance: die einer unfreiwilligen, aber schnellen und gründlichen Erneuerung. Es kann kein ernsthafter Einwand sein, dass in der jüngeren Generation noch keiner da ist, der sich als führender Kopf wirklich durchgesetzt hat. In einer Führungskrise ist die Union, wenn Schäuble bleibt, erst recht. Man kann sich den Schrecken ohne Ende lebhaft ausmalen: ganz wie das sozialdemokratische Trauerspiel um diverse Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzende. Trotz ihrer Karriere unter Kohl zählt Angela Merkel zu denen, die bleiben könnten - noch.

Für die Demokratie kann die Affäre zum Lehrstück werden, das mehr Wirkung hinterlässt als der Flick-Skandal, gerade weil die Machtanmaßung von einem ausgegangen ist, der in den Geschichtsbüchern stehen wird. Kohl hat uns vor Augen geführt, dass eine demokratische Gesellschaft immer unvollkommen ist. Sie gibt sich Regeln und Gesetze ja deshalb, weil sie weiß, dass Menschen, zumal die an der Macht, sich nicht immer an sie halten. Und offenbar gilt: Je länger die Macht dauert, desto größer die Neigung, sich größer zu fühlen als das Recht.

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