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Politik: Die CharakterfragenVon Stephan-Andreas Casdorff

Ist er schon gegangen, ohne sich zu verabschieden? So sieht es aus: Gerhard Schröder hat sich verabschiedet von seiner Partei, der SPD, von den Wählern und von der Wirklichkeit.

Ist er schon gegangen, ohne sich zu verabschieden? So sieht es aus: Gerhard Schröder hat sich verabschiedet von seiner Partei, der SPD, von den Wählern und von der Wirklichkeit. Immerhin glaubt er noch, dass richtig ist, was er tut. Und bald hat er uns soweit, dass wir ihm glauben müssen. Denn ganz Deutschland hat er als Kanzler in eine Reformbaustelle verwandelt, und ein Ende ist nicht abzusehen. Ein gutes Ende.

Schröder macht weiter, trotz aller Niederlagen und niederschmetternden Zahlen auf allen Gebieten. Gewackelt wird nicht, war seine Botschaft in Neuhardenberg – wenn das keine Durchhalteparole ist. Und Joschka Fischer stimmt mit ein, als ideeller Sozialdemokrat, der er längst ist. Rot und Grün: Nur gemeinsam stark, oder gar nicht. Gegenwärtig sieht es ganz nach gar nicht aus. Frei nach Willy Brandt: 35 Prozent (für beide zusammen) wären auch schon ein schönes Ergebnis.

Der Sommer ist noch nicht wirklich da, aber Schröder befindet sich im Herbst seiner Kanzlerschaft. Der Herbst hat ja auch noch ein paar schöne Tage. Denn um es 2006 noch einmal zu packen, müsste sich Schröder jetzt verausgaben, alles geben, was drin ist. Sage keiner, dass er das nicht weiß. Er fängt ja schon an, sich zu stilisieren, sich jetzt als „Charakterkanzler“ zu versuchen. Und redet dabei in einer Art provozierend melancholisch wie zuletzt Helmut Kohl. Dabei hat er nur eine Chance, wenn er sich nicht stilisiert, sondern regiert. Das ist, bei dem Verhau, in dem Deutschland steckt, auch seine Pflicht und Schuldigkeit.

Du hast keine Chance, also nutze sie. Nach diesem intellektuellen Gassenhauer vorgegangen hieße: Zuerst im Kabinett aufräumen. Schröder muss die Kraft aufbringen, sich von Wegbegleitern zu verabschieden, von Maut-Stolpe und Ullala Schmidt, so nett sie sein mögen. Auch Otto Schily wirkt, mit Verlaub, mitunter bei seinen Entscheidungen erratisch. Und was treibt eigentlich Wolfgang Clement? Kurz: Da gäbe es eine Menge, das sich zu verbessern lohnte. Im Sinne des Handwerks schon.

Dann müsste Schröder auch mal anfangen, seine Agenda nicht nur zu verteidigen, sondern offensiv zu vertreten. Und zwar nicht mit immer denselben starken Worten, sondern mit starken Taten. Er brüllt nur wie ein Löwe, den Mut hat er nicht. Beispiele gibt es genug, und wenn er sie abkupfert. Wie eine durchgreifende Steuerreform bei Friedrich Merz, dem Merkel-Rebellen. Das ist es, was Deutschland braucht: die Reform für eine Steuer, die auch ein ausländischer Investor versteht. Sonst kommt doch keiner. Das wäre Schröders New Deal: Den Kapitalismus zu stärken, um den Sozialstaat zu erhalten. Und was die Entlastungen und Subventionen betrifft, kann sich der Kanzler auch bei Vorhandenem bedienen. Soll er doch das Koch-Steinbrück-Konzept nehmen – und es Punkt für Punkt im Bundestag zur Abstimmung stellen. Mal sehen, was dann passiert. Daran hätten wohl auch Franz Müntefering und die SPD ihre Freude: zu sehen, dass die Schwierigkeiten bei der Union, wenn es ernst wird, nicht kleiner sind als bei ihnen. Es ist, wie Angela Merkel gerade sagt: Der Union fehlt Klarheit. Und es ist, wie Edmund Stoiber meint: Die Union hat (noch) kein einiges Regierungskonzept.

Nur so, nämlich durch Taten, die den richtigen Geist zeigen, lassen sich vielleicht die Tausende zurückholen, die der SPD davongelaufen sind. Noch sind sie nicht bei der Union gelandet, in NRW bei der Europawahl hat die CDU zwar gewonnen, aber real auch Stimmen verloren. Doch die Sozialdemokraten hatten keine Lust mehr, keinen Mut, haben sich abgewandt. Dass Schröder den Niedergang seiner Partei so hinnimmt, ist nicht Melancholie, nicht Fatalismus – das ist entrückt. Ein Rätsel. Er muss doch wissen, dass nach unserer Verfassung Kanzler nicht mehr wird, wer den Rückhalt seiner Partei verloren hat.

Wenn Schröder über sich nachdenkt, dann doch so: Er steht schon im Geschichtsbuch. Das hat sein Land, das haben seine Wähler, das hat auch seine Partei für ihn getan. Noch hat er Zeit, einiges für sein Land zu tun. Und für seine Partei. Es geht um Ehre, Ära oder Episode.

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