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Schmaler Grat. Die Politik muss trennen zwischen der Kaperung der Proteste und berechtigten Sorgen und Zweifeln vieler Bürger.

© Sebastian Gollnow/dpa

Die Corona-Front in den Parteien bröckelt: Von CDU bis Linkspartei – die Zweifler melden sich

Welche Wirkung haben die Corona-Proteste auf die Politik? Viele Verantwortliche ärgern sich über die Hetze - vereinzelt aber zeigt sich Sympathie.

Michael Kretschmer bekommt einiges zu hören, als er mit dem Fahrrad bei den Corona-Protesten in Dresden vorbeischauen will. „Verpiss dich“, „Corona, die Jahrhundertlüge“, schallt es dem sächsischen Ministerpräsidenten entgegen.

Seit Jahren gehört es zu seinem politischen Rezept, vor Ort mit den Bürgern das Gespräch zu suchen, auch mit erklärten Gegnern.

Doch hier stößt der CDU-Politiker an Grenzen – die sächsische SPD-Politikerin Sophie Koch fordert von Kretschmer gar eine Entschuldigung, dass er „schon wieder mit Rechten redet“. Das müsse in der Koalition besprochen werden.

So wie sich die Proteste nicht auf einen Nenner bringen lassen und Zweifel am Corona-Kurs sich auch durch Parteien fressen, wird die Frage nach dem richtigen Umgang mit den Kritikern und Zweiflern immer virulenter.

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Kretschmer argumentiert im Gespräch mit einem zornigen Bürger so: „Ich bin total froh, dass wir hier keine großen Lkw-Kolonnen mit Toten sehen wie in Bergamo.“ Er habe manche Nacht nicht schlafen können, sei es wegen der Frage von Kindergartenschließungen oder wegen des Einzelhandels.

Anfangs habe man nun mal nicht gewusst, wie sich die Krankheit übertrage, das Handeln sei geleitet gewesen von dem Bemühen, italienische Verhältnisse zu vermeiden. „Jetzt sind wir schlauer und wissen vieles mehr.“ Kretschmer trägt bei der Bürgerbegegnung übrigens keinen Mundschutz.

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Die anfangs auch in der Union breite Einigkeit bröckelt inzwischen. So sagt die sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann, sie habe den erweiterten Befugnissen des Bundes zur Pandemiebekämpfung im März „unter dem Eindruck von seitens der Regierung völlig überzogenen Auswirkungen und Perspektiven der Pandemie auf das Gesundheitswesen“ zugestimmt. 

Das sei eindeutig ein Fehler gewesen, im Hinblick „auf die daraus folgenden unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffe durch weitreichende Ermächtigungsbefugnisse für den Bundesgesundheitsminister“. Dinge wie einen von Minister Jens Spahn ins Spiel gebrachten Immunitätsausweis lehnt sie ab.

RKI erklärt Impfpflicht eine klare Absage

Eine Reaktion auf den anschwellenden Protest ist sicherlich, dass Kanzleramt und Robert-Koch-Institut (RKI) einer bundesweiten Impfpflicht eine klare Absage erteilen.

„Wir haben keinen Anlass, an eine Impfpflicht zu denken“, sagt RKI-Präsident Lothar Wieler. Die Bürger seien definitiv klug genug zu wissen, wenn es einen sicheren Impfstoff gebe, dass dieser ihre Gesundheit fördern würde.

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Der schmale Grat für die Politik ist der, zu trennen zwischen der von Verfassungsschützern beobachten Kaperung des Protests durch Rechtsextreme – und einer Debatte über berechtigte Sorgen und Zweifel vieler Bürger.

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Zugleich betonen alle Umfragen bisher, dass eine deutliche Mehrheit den vorsichtigen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stützt. Aber die Angst vor dem Virus schwindet und die vor Arbeitsplatzverlusten steigt.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil betont gegenüber dem Tagesspiegel: „Wir haben alle keine Erfahrungswerte mit diesem Virus und es ist das gute Recht von jedem, Kritik zu üben und dafür auch auf die Straße zu gehen.“

„Ihr Ziel ist es, unser Land zu destabilisieren“

Was er aber überhaupt nicht verstehe, sei, „wenn man sich dann auf Demos neben Reichsbürger, Neonazis, Holocaustleugner oder andere Verschwörungstheoretiker stellt“, ergänzt Klingbeil. Diese Leuten wollten eine gewisse Verunsicherung nutzen, „um zu hetzen und zu spalten“. 

Das seien teilweise die gleichen Leute, die schon gegen die Flüchtlingspolitik oder gegen die Maßnahmen zum Klimaschutz demonstriert hätten. „Ihr Ziel ist es, unser Land zu destabilisieren.“

Mittlerweile versuchen sich die Lager mehr abzugrenzen. In Aachen gab es am Wochenende gleich drei Corona-Demonstrationen, eine von der AfD organisiert, eine des linken Lagers und eine von Leuten um die Gruppierung „Widerstand 2020“.

Pressekonferenz 2015 in Moskau: Der NRW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko gehört zum linken Flügel der Linkspartei.
Pressekonferenz 2015 in Moskau: Der NRW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko gehört zum linken Flügel der Linkspartei.

© Yuri Mashkov/TASS/picture alliance/dpa

Bei der Demo des linken Lagers sprach auch Linkspartei-Bundestagsfraktionsvize Andrej Hunko – gegen den Widerstand vieler Leute in seiner Partei.

Der auch wegen seiner Russland- und Venezuela-Unterstützung schon angeeckte Hunko verwahrt sich gegen eine Bezeichnung als Verschwörungstheoretiker, betont aber mit Blick auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und US- Milliardär Bill Gates, dass die WHO nur noch zu knapp 20 Prozent von den Mitgliedsstaaten finanziert werde.

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An deren Stelle seien private Akteure getreten, Pharma- und Impfstoffhersteller und Leute wie Gates, die einen nicht zu legitimierenden Einfluss nehmen würden. Warum es eine Fokussierung auf Impfprogramme gebe statt zum Beispiel auf den Zugang zu sauberem Trinkwasser, fragte Hunko in Aachen. Schon die Schweinegrippe habe sich als Panik erwiesen, Milliardensummen seien in die Kassen der Impfstoffhersteller gespült worden.

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel verweist Hunko zudem auf den jüngsten ARD-Deutschlandtrend, wonach bei den Linken-Anhängern 58 Prozent Sorgen haben, dass Freiheitsrechte längerfristig eingeschränkt werden könnten. Nur die Anhänger von FDP (60 Prozent) und AfD (75 Prozent) haben hier noch größere Sorgen.

Das sei zwar eine „völlig verrückte Konstellation“, aber eine, die man ernst nehmen müsse. Ein Problem der öffentlichen Debatte ist für Hunko derzeit, dass eine Minderheit von Experten, aber auch Teile der Bevölkerung, die eine andere Sicht auf die Gefahren von Covid-19 und die Maßnahmen haben, „aggressiv aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt und teils übel diffamiert werden“.

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