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Politik: „Die DDR ist nicht nur ein Ost-Thema“

Stasi-Behördenchefin Birthler über den Umgang mit der Geschichte und das Wesen der Diktatur

Frau Birthler, warum tauchen 16 Jahre nach der Wende alte Stasi-Seilschaften in der Öffentlichkeit auf?

Vielleicht geraten die Tschekisten in Panik, weil sie merken, dass ihre Weltsicht allmählich an Boden verliert und sie sich nicht durchsetzen wird. Manche sprechen vom letzten Gefecht alter Männer, die es nicht ertragen können, dass die Geschichte über sie hinweggeht. Da ist was dran, allerdings sollte man das Milieu, in dem die ehemalige Führungsriege des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) nach wie vor eine große Resonanz hat und das sich von ihren Äußerungen ermutigt und bestätigt sieht, nicht unterschätzen. Um die Frage, als was die DDR in die Geschichte eingehen wird, wird noch gestritten, sie ist auch noch nicht entschieden.

Glaubt man der Expertenkommission der Bundesregierung, ist sie es schon. Ein bisschen Stasi-Aufarbeitung, ein bisschen DDR-Alltagsgeschichte. Reicht das?

Der Verdacht, die Kommission wolle die DDR weichspülen, ist inzwischen überzeugend widerlegt worden. Anlass war der Begriff „Alltag“, dem ja etwas Schillerndes anhaftet. Es gibt tatsächlich Leute, die mit dem Verweis auf angeblich alltägliches sorgloses Leben ausblenden wollen, dass die DDR eine Diktatur war. Richtig ist: Wenn man den grundsätzlichen Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie beschreiben will, dann genügt es nicht, auf Repression und Staatssicherheit zu schauen. Der Wesenskern einer Diktatur ist der Verlust von Recht und Freiheit. Und dieser zeigt sich nicht nur in Gefängnissen, sondern in allen Bereichen des Lebens. Die Aufhebung der Gewaltenteilung, die Rolle der SED, die Gleichschaltung der Medien, die Klassenideologie, die katastrophale Bildungspolitik von Margot Honecker – alles Erscheinungsformen der Diktatur, die in der bisherigen Debatte noch zu kurz gekommen sind.

Und nun soll es ein Museum geben für den Alltag in der DDR?

Ein Lernort DDR, wie ihn die Kommission jetzt vorschlägt, wäre ein brauchbarer Ansatz. Ein Ort, an dem eine Schulklasse einen Gesamteindruck bekommen kann, von dem, was die DDR für ein Staat war, und wie die Menschen unter den Bedingungen der Diktatur lebten.

Massenwirksam ist das alles nicht.

Wenn es gut gemacht wird, durchaus. Es kommt darauf an, Zusammenhänge verständlich und interessant aufzuarbeiten. Es geht um den Transfer längst vorhandener gesicherter Erkenntnisse in die breite Öffentlichkeit. Unsere Erfahrung zeigt, dass das möglich ist. Es genügt dafür nicht, einfach nur das Wissen von Experten in eine verständliche Sprache zu übersetzen. Besser ist es, an Erlebnisse und Erfahrungen der Menschen anzuknüpfen. Ich erreiche Jugendliche mit der Geschichte von Schülern, die von der Schule flogen, weil sie die falschen Klamotten und die falsche Musik liebten, manchmal mehr als mit Berichten von Verfolgung und Haft. Und warum mussten Kinder lernen, dass darüber, was am Abendbrottisch besprochen wurde, in der Schule nicht geredet wird? Diese Art von DDR-Alltag ist gemeint.

Wer soll über die DDR diskutieren?

Die Öffentlichkeit: also Politik, Medien, Bildungseinrichtungen, Kunst. Wir alle. Aufarbeitung der SED-Diktatur ist nicht nur die Aufgabe von Behörden. Die Multiplikatoren sind gefragt: Schulen , Universitäten, die Landeszentralen für politische Bildung – da gibt es bisher eher eine dürftige Bilanz – auch oder vor allem im Westen. Die Geschichte der DDR ist ein deutsches, nicht nur ein ostdeutsches Thema. Da sind alle gefragt – vom Ministerpräsidenten bis zum Lokalredakteur.

Wozu brauchen wir diese Debatte?

Weil es um unsere Vergangenheit geht, also um unser Leben. Eine Gesellschaft, die sich nicht erinnert, ist nicht lebendig, hat kein Selbstbewusstsein. Vor allem aber können wir aus dieser Geschichte lernen. Die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur verhilft dazu, den Wert von Freiheit, Recht und Demokratie besser schätzen zu können. Es geht also nicht um einen neuen großen Aufschlag. Doch lohnt es sich darüber nachzudenken, ob es möglicherweise weiße Flecken in der Aufarbeitung gibt.

War es falsch, DDR-Geschichte auf die Opfer-Täter-Verhältnisse zu konzentrieren und Raum für Ostalgiewellen zu öffnen?

Es ist doch verständlich, dass sich das Interesse zunächst auf diese Themen richtete. In den ersten Jahren hat es den Leuten doch unter den Nägeln gebrannt: Wer hat wen verraten, waren es womöglich meine Freunde? Wer von denen drängt schon wieder in Amtsstuben oder in die Politik? Die Zeit der spektakulären Enthüllungen neigt sich allmählich dem Ende zu. Jedes Thema hat seine Zeit. Jetzt wollen viele wissen, wie hat es genau funktioniert.

Warum erfahren Kinder in der Schule so wenig über die DDR?

Leider sind Schulen, in denen über die DDR hinreichend und sachgerecht informiert und diskutiert wird, noch in der Minderheit. Nicht selten werden Lehrer, die diesen Diskurs wollen, mundtot gemacht. Sie bekommen zu wenig Rückendeckung von Kollegen, Schulleitung oder Schulbehörden, wenn Eltern oder Großeltern die ehrliche Debatte über deren Vergangenheit nicht passt.

Sie wollen die Behörde, der Sie vorstehen, mit breiteren Kompetenzen ausstatten?

Nein. Die gesetzlichen Aufgaben, die wir haben, sind so vielfältig, dass wir Mühe haben, sie alle auszufüllen. Zu ihnen gehört es auch, über Struktur, Wirkungsweisen und Methoden der Stasi zu unterrichten – also auch über ihre Auswirkungen in der Gesellschaft. Nach dem viel versprechenden Beginn der Debatte um die Zukunft der Aufarbeitung sollten nun aber auch die Stasiunterlagenbehörde und andere Institutionen, die sich der DDR-Aufarbeitung widmen, an konzeptionellen Debatten beteiligt werden.

Das Interview führten Matthias Meisner und Antje Sirleschtov

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