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Politik: „Die Debatte bewegt sich auf armseligem Niveau“

Professor Paul Nolte, ab Juli an der FU Berlin, kann der Kapitalismus-Kritik der SPD wenig abgewinnen

Wie sehen Sie die KapitalismusDebatte?

Sie bewegt sich auf armseligem, jämmerlichem Niveau und ist von unredlichen Argumenten geprägt. Manche gängige Formeln muss man hinterfragen, etwa die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Was fürchtet man da? Als Konsumenten begrüßen wir eine Ökonomisierung, wenn Waren für 1,99 Euro aus China kommen, die früher hier produziert wurden und zwölf Euro gekostet hätten. Das ist ein knallhartes System, aus dem wir Nutzen ziehen. Es sind Rückfragen an das eigene Verhalten geboten. Kapitalismus, das ist nicht nur Herr Ackermann.

Was halten Sie denn von dem Bild der Heuschrecken, also den gierigen Finanzinvestoren, die über Deutschland herfallen?

Das kann ich nicht so sehen. Es gibt sicher Probleme in der Regulierung der Finanzmärkte. Aber die Hauptfrage ist, was es bedeutet, dass in einem entwickelten Kapitalismus Einkommen nicht vor allem mit Lohnarbeit erzielt wird, sondern auf Kapitalmärkten. Das schließt Menschen ein, die eine Eigentumswohnung vermieten. Solche Einkommen zu Steuern und Sozialabgaben heranzuziehen, ist gerecht.

Der Kern der Kritik ist die Annahme, Unternehmer hätten die – patriotische – Pflicht, Arbeitsplätze zu schaffen.

Ich würde eher sagen, die Politik hat die Verantwortung dafür, dass die Unternehmer gute Arbeits- und Investitionsmöglichkeiten vorfinden. Das Kapital sucht sich seine Plätze, wo es gut produzieren kann. Eine Verpflichtung im ökonomischen Sinn kann ich nicht erkennen. Natürlich gibt es moralische Bindungen und eine Kultur der Wirtschaft. Und viele Unternehmer können gar nicht anders, als Waren oder Dienstleistungen in regionalen oder nationalen Märkten anzubieten.

Was kann man wissenschaftlich mit dieser Debatte anfangen?

Leider zu wenig. Statt mit der Moralkeule zu kommen, müsste man kritische Fragen an den Kapitalismus stellen. Der Terminus soziale Marktwirtschaft führt in die Irre. Wir haben in einer regulierten Marktwirtschaft gelebt, jetzt fallen die Regulierungen weg. Das ist das eigentliche Problem. Plötzlich empfinden wir das System als nackt und kalt, aber wir sind auch gespalten. In manchen Bereichen begrüßen wir die Deregulierung ja auch, etwa bei den Ladenschlusszeiten.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

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