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Politik: "Die Debatte fängt erst richtig an"

TAGESSPIEGEL: Frau Müller, Sie haben auf dem Grünen-Parteitag über die Zigarren rauchenden Jungs gespottet, die sich die Macht teilen.Muß Ihnen der Spott nicht auf den Lippen gefrieren, wenn in der SPD der oberste Zigarrenraucher die Macht übernimmt.

TAGESSPIEGEL: Frau Müller, Sie haben auf dem Grünen-Parteitag über die Zigarren rauchenden Jungs gespottet, die sich die Macht teilen.Muß Ihnen der Spott nicht auf den Lippen gefrieren, wenn in der SPD der oberste Zigarrenraucher die Macht übernimmt.

MÜLLER: Männerseilschaften funktionieren gut in Bonn - gerade deshalb bin ich entschieden für die quotierte Doppelspitze.Das war die Botschaft dieses Bildes.Allerdings bedauere ich sehr, daß Oskar Lafontaine seine Ämter niedergelegt hat.Wir haben sehr gut mit ihm zusammengearbeitet.

TAGESSPIEGEL: Zweiter Versuch.Wird das Verhältnis zwischen den Koalitionspartnern schwieriger, wenn der wenig grünenfreundliche Schröder stärker wird?

MÜLLER: Nein.Denn das ist keine Auseinandersetzung zwischen den Koalitionsparteien, sondern das ist eine Auseinandersetzung in der SPD.Da gehört sie auch hin.Da möchte ich mich nicht einmischen.Die SPD muß außer den Personalfragen auch ihren inhaltlichen Kurs klären.

TAGESSPIEGEL: Schröder hat den Atomausstieg gestoppt, den Ökosteuersatz für Benzin bei sechs Pfennig gedeckelt, er hat die Ozon-Verordnungspläne von Umweltminister Trittin kritisiert.Wenn er noch stärker wird, betrifft das den Koalitionspartner nicht?

MÜLLER: In diesen Bereichen betrifft die SPD-Politik auch die Grünen-Politik.Klar.Aber die Auseinandersetzung darüber, was der Weggang Lafontaines für die SPD bedeutet, ist keine Sache zwischen SPD und Grünen.Die SPD muß klären, was die Politik der neuen Mitte ist.Das ist inhaltlich bisher nicht klar.Ich glaube, es gibt spannende Diskussionen über die Reform des Sozialstaates, aber auch darüber, wie es weitergeht in der Finanz- und Wirtschaftspolitik.Wir Grünen haben da intern schon wesentlich mehr Klarheit geschaffen als die SPD.

TAGESSPIEGEL: Starke Kräfte in Ihrer Fraktion, etwa der Haushaltsexperte Oswald Metzger, streben eine grüne FDP an.Ist das nun Ihre Profilierungschance?

MÜLLER: Nein.Wenn die Grünen zur Öko-FDP werden, haben sie verloren.Dann machen sie sich selber überflüssig.Neoliberalismus in der Wirtschaftspolitik - Machterhalt um der Macht willen - dafür steht die FDP.Nein, für die Grünen ist es wichtig, ihr Profil zu schärfen, in der Ökologie und der sozialen Erneuerung der Gesellschaft.Von uns wird erwartet, daß wir zeigen, wie man auch unter engen Finanzspielräumen im Zeitalter der Globalisierung den Sozialstaat solidarisch umbauen kann - um ihn zu erhalten, und nicht wie die FDP, um ihn zu zerschlagen.

TAGESSPIEGEL: Also muß die arme Gesundheitsministerin Andrea Fischer nicht nur das Gesundheitssystem reformieren, sondern auch gegen die Männerwelt im Bündnis für Arbeit Grünenpolitik einbringen?

MÜLLER: Wir werden als Fraktion gemeinsam mit ihr eigene Akzente setzen - etwa was die Frage einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik betrifft, zweitens was die Einbindung von Arbeitsloseninitiativen betrifft, drittens was die Einbindung von Fraueninteressen angeht.

TAGESSPIEGEL: Ist der Rücktritt des Finanzministers nicht auch eine Chance für beide Koalitionspartner, bei der Steuerreform nicht nur im Kleinen nachzubessern, sondern doch noch den großen Wurf zu versuchen?

MÜLLER: Die Zielrichtung unserer Steuerreform bleibt richtig - die Entlastung der unteren Einkommen und die Förderung der Familie und des Lebens mit Kindern.Das ist auch der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts.Wir waren flügelübergreifend bereit, mutiger an die Steuersätze heranzugehen.Aber wer das heute fordert, muß verraten, wie es geht.Da ist die SPD bisher nicht mitgegangen.Wir hätten gern weitere Steuerschlupflöcher geschlossen und das Ehegattensplitting weiter zurückgeführt, dann hätte man mehr Finanzspielraum für die Senkung der Steuersätze gehabt.Aber was die Unternehmen offenbar wollen, geht natürlich nicht: Weitere Subventionen und darüber hinaus niedrige Steuersätze.

TAGESSPIEGEL: Die Rückstellungsmöglichkeiten von Gewinnen zur Steuerersparnis bleiben nach den Interventionen von Versicherungs- und Atomwirtschaft?

MÜLLER: Davon gehe ich aus.Wer Abstand nehmen will von der Besteuerung der Rücklagen, muß sagen, wie er das finanzieren will.Ich finde die Besteuerung richtig, weil die Energieversorgungsunternehmen damit Geld erwirtschaften, um etwa in den Telekommarkt zu investieren.Sie nutzen damit ihren Wettbewerbsvorteil als Monopolisten.

TAGESSPIEGEL: Wird es außer dem neuen Finanzminister weitere Neubesetzungen geben.Etwa einen neuen Umweltminister?

MÜLLER: Nein.

TAGESSPIEGEL: Jürgen Trittin hat das volle Vertrauen Ihrer Bundestagsfraktion?

MÜLLER: Ja.Ich halte auch nichts von Sündenbock-Theorien.Die sind nur Entlastungsmanöver.Jürgen Trittin hat keine Schuld an den Problemen der Regierung.

TAGESSPIEGEL: Was ist das Wichtigste, das sich mit dem neuen Finanzminister und der neuen Macht des Kanzlers in der Koalition ändern muß?

MÜLLER: Die Regierung muß in ruhigere Fahrwasser kommen.Wir müssen mehr kommunizieren.Wir müssen unsere Reformprojekte nacheinander auf den Weg bringen.Es muß endlich der Grundsatz gelten: Sorgfalt vor Schnelligkeit.

TAGESSPIEGEL: Mit dem Staatsbürgerschaftsrecht ist es nicht so schnell gegangen wie Sie sich vorgestellt haben.Erkennen Sie darin die grüne Handschrift noch wieder oder ist das nur noch FDP pur?

MÜLLER: Es ist auf keinen Fall FDP pur, sondern ein Kompromiß zwischen der Bonner Koalition und der sozialliberalen Regierung von Rheinland-Pfalz.Es ist nicht, was wir uns versprochen haben, aber es ist ein erster wichtiger Schritt.Wir führen das Geburtsrecht ein, und wir machen ein Angebot zur erleichterten Einbürgerung, indem wir die Fristen verkürzen und die Sozialklausel beibehalten.

TAGESSPIEGEL: Ist das nicht ein Beispiel, wie man grüne Politik nicht durchsetzen kann.Hat die Bürgerrechts- und Bürgerbewegungspartei die gesellschaftliche Debatte nicht sträflich vernachlässigt?

MÜLLER: SPD und Grüne haben gemeinsam unterschätzt, daß man mit dem Gewinn von Wahlen nicht automatisch die gesellschaftlichen Mehrheiten für seine Politik hat.Da haben wir Fehler gemacht, sowohl bei der Staatsbürgerschaft als auch beim Atomausstieg.Die müssen wir schleunigst bereinigen.Die Debatte fängt erst richtig an.

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