zum Hauptinhalt

Politik: Die deutsche Blockade bringt die Ethik in der Biotechnologie nicht voran (Kommentar)

Unter Fachleuten ist längst unbestritten, dass die Realität das zehn Jahre alte Embryonenschutzgesetz überholt hatAlexander S. KekulÉ Während Bioethiker debattieren, wie man die rasante Entwicklung der Biotechnologie durch ein ethisches Rahmenkonzept im Zaum halten könnte, hört man die Biotechnologen bereits am Ziel mit Champagnerkorken knallen.

Unter Fachleuten ist längst unbestritten, dass die Realität das zehn Jahre alte Embryonenschutzgesetz überholt hatAlexander S. KekulÉ

Während Bioethiker debattieren, wie man die rasante Entwicklung der Biotechnologie durch ein ethisches Rahmenkonzept im Zaum halten könnte, hört man die Biotechnologen bereits am Ziel mit Champagnerkorken knallen. Vergangene Woche erblickte der milliardste Baustein des menschlichen Genoms das Licht der Labore ("Es ist ein G!"); ein Drittel der Buchstaben des kompliziertesten Bauplanes der Welt ist entziffert. Am morgigen Donnerstag wird die erste vollständige Erbinformation eines humanen Chromosoms veröffentlicht. Sobald der Sinn des genetischen Buchstabensalates entschlüsselt ist, sollen sich schädliche Erbanlagen erkennen und schwere Krankheiten heilen lassen.

Währenddessen wird in Bioethik-Gremien um Konsens und Kompromiss gerungen. Die Bioethik-Konvention des Europarates liegt seit 1997 auf dem Tisch und tritt heute in Kraft, nur sechs der 41 Mitgliedstaaten haben sie bisher ratifiziert. Deutschland und Großbritannien haben sie nicht einmal unterschrieben. Aus gegensätzlichen Gründen: Den Briten ist das Gesetz zu streng, weil es die Befruchtung menschlicher Embryos für reine Forschungszwecke verbietet. Deutschland ist es zu liberal, weil es Organentnahmen und die Forschung an nicht einwilligungsfähigen Personen erlaubt - freilich nur unter strengen Voraussetzungen: Zustimmung der Sorgeberechtigten, keine gegenteilige Willensäußerung des Betroffenen. Transplantationen dürfen nur auf Geschwister erfolgen, Eingriffe zu Forschungszwecken müssen auf eine "reale und direkte" Heilung des Patienten selbst abzielen.

Strengere nationale Gesetze lässt die Bioethik-Konvention ausdrücklich zu. Trotzdem fordern kritische Parlamentarier und Organisationen wie das "Gen-ethische Netzwerk e.V.", erst einmal müsse sich eine überparteiliche Enquete-Kommission mit dem Thema befassen. Sie befürchten eine Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes. In Deutschland ist jede Forschung an Embryonen verboten, das Gesetz schützt die befruchtete Eizelle. In den meisten anderen Staaten beginnt der Schutz des Individuums erst 14 Tage später. So lange können auch bei einer natürlichen Schwangerschaft noch Zwillinge entstehen oder kann die Frucht durch Fehler bei der Einnistung in die Gebärmutter abgehen.

Unter Fachleuten ist unbestritten: Die Realität hat das zehn Jahre alte Embryonenschutzgesetz überholt. Die in Deutschland zehntausendfach durchgeführte In-vitro-Fertilisation (IVF) ist nur möglich, weil die Forschung anderswo gemacht wird. Wer das Risiko für Erbkrankheiten im Rahmen der IVF untersuchen lassen will, muss ins Ausland fahren, hier ist diese Diagnostik verboten. Ärzte, die IVF oder Gentherapie anwenden, arbeiten in einer Grauzone zwischen Klinik und Knast. Eine öffentliche Diskussion ist überfällig. Am Ende dürfte eine neue nationale Regelung stehen, wie das jüngst von der Gesundheitsministerin vorgeschlagene Fortpflanzungsmedizingesetz. Der mühsam errungene Minimalkonsens der europäischen Bioethik-Konvention genügt nicht. Die Biotechnologie schafft täglich neue Fakten - ob die Bioethik auf der Stelle tritt oder nicht.Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Alexander S. KekulÉ

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false