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Politik: „Die Deutschen müssen in Afghanistan bleiben“

Afghanistans Botschafterin in Berlin, Maliha Zulfacar, über die aktuelle Lage am Hindukusch

Heute sollen die Tornados in Afghanistan ankommen. In Deutschland ist der Einsatz umstritten. Verstehen Sie das?

Ich verstehe, dass im Blick auf den Zweiten Weltkrieg und die deutsche Geschichte die Menschen hier das Engagement der Bundeswehr in anderen Ländern besonders diskutieren wollen und müssen. Die afghanische Regierung würde gerne nur mit friedlichen Mitteln arbeiten. Aber in manchen Situationen muss man zu militärischen Mitteln greifen: Wenn man Leben retten soll und vor allem wenn Zivilisten angegriffen werden, die keine Möglichkeit haben, sich zu wehren. Es obliegt dem Staat, ihnen Schutz zu bieten. Notfalls auch militärisch.

Sind Sie enttäuscht, dass nicht nur der Tornado-Einsatz angezweifelt wird, sondern zum Teil sogar über einen Rückzug aus Afghanistan gesprochen wird?

Wir sind sehr glücklich über das Engagement der Deutschen in Afghanistan, und es ist sehr wichtig, dass sie dort auch weiter bleiben. Deutschland ist heute eine politische Großmacht und hat noch dazu die EU-Ratspräsidentschaft inne. Damit kommt Berlin eine Führungsrolle zu, die Erwartungen weckt. Wer über einen Rückzug aus Afghanistan nachdenkt, darf außerdem nicht vergessen, dass die Schwierigkeiten, die wir in unserem Land haben, nicht nur regionale, sondern globale Probleme sind. Denken Sie an die Anschläge vom 11. September 2001. Und denken Sie daran, was passieren würde, wenn die internationale Gemeinschaft Afghanistan jetzt im Stich lassen würde.

Trotz der Unterstützung läuft der Wiederaufbau schleppender als viele erwartet haben. Woran liegt das?

Vielleicht sind die Erwartungen einfach zu hoch. Sie müssen bedenken, dass wir nach 30 Jahren Krieg bei null angefangen haben. Alle staatlichen Institutionen waren zerstört. In den ersten Jahren haben wir zu sehr auf Kabul geschaut. Wir brauchen einen umfassenden Ansatz, der alle gesellschaftlichen Bereiche einschließt: Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft. Und wir brauchen eine bessere Koordination der internationalen Gemeinschaft.

Außerhalb Kabuls hat sich besonders für Frauen wenig verändert. Wie kann ihre Situation verbessert werden?

Inzwischen gibt es umfassende Rehabilitierungsprogramme für die Provinzen, hier werden Frauen direkt beteiligt. Und es gibt Erfolge, über die wenig berichtet wird: Bei den Wahlen im Jahr 2004 lag die Wahlbeteiligung der Frauen bei 40 Prozent, knapp ein Drittel der Parlamentsabgeordneten sind Frauen. Das ist erstaunlich für ein Land wie Afghanistan – und es zeigt, dass die Frauen etwas verändern wollen. In Kandahar, wo es sehr gefährlich ist, haben wir sogar weibliche Polizisten. Diese Frauen sind sehr mutig. Ihre Tapferkeit sollte anerkannt und ihre Bestrebungen, sich weiterzuentwickeln, sollten honoriert werden.

Als Botschafterin haben Sie Kontakt zu Flüchtlingen. Verstehen Sie, dass die Bundesländer zur Rückkehr drängen?

Eine Rückkehr muss freiwillig und schrittweise erfolgen. Sie müssen sehen: Wir haben es in Afghanistan nicht mit einem konventionellen Krieg zu tun. Das ist ein Propagandakrieg, der auch über das Internet geführt wird. Wir müssen daher alles vermeiden, was die negative Stimmung anheizen könnte. Die Menschen haben sich hier an den westlichen Lebensstandard gewöhnt. In Afghanistan fehlt es dagegen an allem. Seit Kriegsende sind vier Millionen Flüchtlinge zurückgekehrt und es gab keinerlei Vorbereitungen – keine Häuser, keine Jobs, keine Schulen.

Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat eine Friedenskonferenz vorgeschlagen, zu der auch gemäßigte Taliban eingeladen werden sollten. Was halten Sie davon?

Das ist kein neuer Gedanke. Präsident Karsai hat in der Vergangenheit betont, dass er die Rückkehr und Integration herzlich begrüßt, sofern sie die Verfassung anerkennen und keine kriminelle Vergangenheit haben. Die afghanische Regierung begrüßt jede Form von Dialog und strebt eine friedliches Zusammenleben aller Afghanen an.

Sehen Sie die Gefahr, dass islamistische Kräfte an Einfluss gewinnen?

Der Islam ist kein Problem für Afghanistan. Wir sind ein islamisches Land, in dem es eine große Bandbreite an islamischen Strömungen gibt – und natürlich auch einen politischen Islam. Das ist jedoch keine Bedrohung, denn afghanische Kräfte werden niemals unseren Staat oder unsere Kultur zerstören, so wie es verschiedene militante und ideologisch motivierte Gruppen getan haben. Zudem kann man die Vergangenheit nicht losgelöst von der geostrategischen Politik des Kalten Krieges betrachten. Im Gegensatz zu anderen Ländern in der Region ist Afghanistan nun aber auf dem Weg, ein demokratischer Staat zu werden.

Die Fragen stellten Ruth Ciesinger und Ulrike Scheffer.

Maliha Zulfacar

vertritt Afghanistan als Botschafterin in

Berlin. Die Soziologieprofessorin hat lange in den USA gelehrt

und selbst einmal

in Deutschland

studiert.

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