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Politik: Die Einheit für einen Tag

Von Gerd Appenzeller

Der Bundesregierung ganz allgemein und den Ministern Eichel und Clement im Besonderen ist zu danken. Zu danken für ihr konsequentes Eintreten für Stabilität und Wachstum und ganz speziell für die Entschlossenheit, das Bruttosozialprodukt zu steigern. Deshalb ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der Nationalfeiertag künftig nicht mehr am 3. Oktober, sondern am ersten Sonntag im Oktober begangen wird. Immerhin gewinnt die Volkswirtschaft dadurch im Laufe von sieben Jahren fünf zusätzliche Arbeitstage.

Man wünschte den beiden Herren die Standfestigkeit, auf diesem Wege weiter zu schreiten und als Nächstes den Dialog mit Gewerkschaften und Kirchen zu suchen. Auch der Tag der Arbeit könnte in Zukunft am jeweils ersten Sonntag im Mai gefeiert werden. Das Fest der Geburt Christi hingegen sollte generell am vorletzten Sonnabend im Dezember begangen werden, dann würde der erste Weihnachtsfeiertag immer auf einen Sonntag fallen, und so wäre auch schon wieder ein Feiertag eingespart. Der zweite Weihnachtsfeiertag ist unter gesundheitlichen Gesichtspunkten – schon wieder Braten und Klöße – seit jeher ein Problem gewesen. Zusammen mit den arbeitsfreien Oster und Pfingstmontagen (religiöse Begründungen dafür gibt es nicht) wären das drei weitere Tage, die man zum Vorteil des Standorts Deutschland in Arbeitstage umwidmen könnte. Lediglich den Jahreswechsel werden wir aus Gründen der internationalen Angleichung auch künftig in der Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar belassen müssen.

Sie finden, das sei alles unglaublich dummes Zeug und dreist obendrein? Vorsicht! Absatz eins ist ernst. Noch. Die Idee, durch Mehrarbeit der desolaten Wirtschaft auf die Beine zu helfen, ist ja auch völlig richtig. Dass wir in diesem Jahr wenigstens ein bescheidenes Wachstum haben, ist vor allem den auf Sonntage fallenden Feiertagen zu verdanken. Wir haben einfach mehr gearbeitet, das ist das ganze Geheimnis. Die Erkenntnis setzt sich langsam durch, dass man nur dadurch, ohne Einkommensteigerung, wohlgemerkt, den Standort Deutschland konkurrenzfähiger machen kann. Wolfgang Clements Problem ist, dass er den Begriff „Werte“ zu eng definiert.

Gemeinsame freie Tage machen Menschen, ob nun in der Familie, in einer Glaubensgemeinschaft oder in einem Volk, bewusst, was sie verbindet. Sie dienen der Selbstfindung und der Besinnung, wenn man so will: dem Atemholen. Eine Gesellschaft, die durch immer mehr Individualinteressen, aber auch durch ständig komplizierter werdende Arbeitszeitregelungen auseinander zu fallen droht, braucht diese Identität stiftenden Elemente mehr denn je. Die Sorge zum Beispiel, dass Deutschland innerlich noch längst nicht zusammengewachsen ist, schafft man nicht aus der Welt, wenn man den Nationalfeiertag zum kalendarischen Wandertag macht.

So falsch also das ist, was Eichel und Clement konkret planen, so richtig ist der Ansatz. Die Deutschen müssen fürs gleiche Geld mehr Stunden pro Woche oder mehr Tage pro Jahr arbeiten, damit das Land auf die Beine kommt. Das Bundesurlaubsgesetz schreibt einen Mindesturlaub von 24 Arbeitstagen vor. Der durchschnittliche Jahresurlaub beträgt fast 27 Tage. Es ist nicht System stürzend zu fragen, ob es mit zwei oder drei Tagen weniger geht. Darüber sollten wir nachdenken, ganz unsentimental, um uns etwas so anrührend Wertvolles wie den Tag der Deutschen Einheit weiter leisten zu können.

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