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Aus der Sicht der beiden größten Fraktionen im EU-Parlament dürften Türken für Reisen in die EU weiter ein Visum benötigen.

© picture alliance / dpa

Die EU und Erdogans Reaktion auf den Putschversuch: Europaabgeordnete gegen Visafreiheit für Türkei

Aus der Sicht des Europaparlaments rückt die Visafreiheit für die Türkei angesichts des Vorgehens von Präsident Erdogan gegen vermeintliche Sympathisanten der Putschisten in weite Ferne.

Angesichts des harten Vorgehens des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen seine Kritiker im Inland gibt es in der EU zunehmend Bedenken gegen die geplante Visafreiheit für die Türkei. Vor allem im Europaparlament werden Rufe laut, nach den Festnahmen und Suspendierungen von zehntausenden Soldaten, Polizisten, Richtern und Lehrern die geplante Erteilung der Visafreiheit für unbestimmte Zeit auf Eis zu legen. Die Visafreiheit für türkische Bürger in der EU gilt als Baustein der Flüchtlingsvereinbarung zwischen der europäischen Staatengemeinschaft und Ankara, die im vergangenen März geschlossen worden war.

EVP-Fraktionschef Weber: Erfüllung der Kriterien in weite Ferne gerückt

„Durch die Entwicklungen der letzten Tage ist die Erfüllung der Kriterien in weite Ferne gerückt“, sagte der Fraktionschef der konservativen EVP im Europaparlament, Manfred Weber, dem Tagesspiegel mit Blick auf die insgesamt 72 Bedingungen, welche die Türkei zur Erlangung der Visafreiheit erfüllen muss. „Es bleibt dabei: Voraussetzung für eine Visaliberalisierung für die Türkei ist die Erfüllung aller 72 Kriterien. Das ist bisher nicht der Fall, und deshalb haben wir den Prozess gestoppt“, sagte der CSU-Politiker weiter.

Ursprünglich war der Türkei im Rahmen der Flüchtlingsvereinbarung mit der EU im März in Aussicht gestellt worden, dass türkische Bürger bereits ab Ende Juni visafrei in die EU reisen dürfen. Allerdings legte das EU-Parlament die Beratungen vor allem deshalb auf Eis, weil sich die Türkei nicht zu einer Überarbeitung der Anti-Terror-Gesetzgebung bereit erklärte. Nach dem gescheiterten Militärputsch und der massenhaften Festnahme von Kritikern sind in den Augen vieler EU-Parlamentarier noch weitere Gründe hinzugekommen, die eine Erteilung der Visafreiheit derzeit unmöglich machen. Ob der Visumszwang für türkische Bürger wegfällt, hängt am Ende von der Zustimmung des EU-Parlaments ab.

Dass die harte Antwort Erdogans auf den Putschversuch die rechtsstaatlichen Prinzipien untergräbt, wird auch in der Bundesregierung in Berlin so gesehen. „Fast täglich kommen neue Maßnahmen hinzu, die einem rechtsstaatlichen Vorgehen widersprechen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch mit Blick auf das Vorgehen der türkischen Regierung gegen mutmaßliche Sympathisanten der Putschisten. Eine Warnung wie aus Brüssel, dass es nämlich auf absehbare Zeit mit der Visabefreiung nichts werden könnte, ist indes aus der Bundesregierung bislang nicht zu hören. Das hat seinen Grund: Es war im März vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gewesen, die sich für die Flüchtlingsvereinbarung mit Ankara stark gemacht hatte. Der Pakt zeigte Wirkung: Die Türkei ging verstärkt gegen Schlepper an der ägäischen Küste vor, die Zahl der auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge ging zurück. Ob Erdogan die Vereinbarung weiter einhalten wird, wenn die erhoffte Visafreiheit in weite Ferne rückt, ist eine offene Frage.

Statt auf die Visafreiheit konzentriert sich die politische Diskussion in Berlin angesichts des harten Durchgreifens der türkischen Regierungspartei AKP eher auf die Frage der türkischen EU-Mitgliedschaft. So hatte Merkel bei einem Telefonat mit Erdogan klar gemacht, dass die Türkei bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe nicht EU-Mitglied werden könne.

Sozialdemokratischer Fraktionschef Pittella: Beendigung der Beitrittsgespräche ist leere Drohung

Allerdings wird der EU-Beitrittsprozess seit Jahren sowohl in der Türkei als auch auf europäischer Seite nur noch halbherzig betrieben. Die Warnung, dass die Beitrittsgespräche bei einer Einführung der Todesstrafe demnächst beendet werden könnten, sei eine leere Drohung, sagte der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Gianni Pittella, dem Tagesspiegel. „Der einzige Hebel, den wir nutzen können, ist die Suspendierung der geplanten Visabefreiung auf unbestimmte Zeit“, sagte der Italiener weiter. „Mit der Flüchtlingsvereinbarung hat Erdogan keinen Blankoscheck in der Hand, um die Menschenrechte und die Demokratie zu verletzen“, so Pittella.

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