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Politik: „Die Europäer müssen Putin zum Frieden zwingen“ Russische Journalistin: Westen tut nichts gegen Tschetschenien-Krieg

Monat für Monat reist Anna Politkowskaja in ein fast vergessenes Land. Die russische Journalistin ist die einzige, die noch regelmäßig aus Tschetschenien berichtet.

Monat für Monat reist Anna Politkowskaja in ein fast vergessenes Land. Die russische Journalistin ist die einzige, die noch regelmäßig aus Tschetschenien berichtet. Den Krieg sieht sie mit den Augen derer, die am meisten darunter leiden: den tschetschenischen Zivilisten. Die 44-Jährige, die am Dienstag in Berlin ihr neues Buch vorstellte, beschreibt die Angriffe der russischen Hubschrauber auf tschetschenische Dörfer, die so genannten Säuberungen, das Verschwinden von Menschen, das Elend der Flüchtlinge. „Die Tschetschenen sind Bürger Russlands – aber unter dem Schutz des Gesetzes stehen sie nicht", sagt Anna Politkowskaja im Gespräch mit dem Tagesspiegel. In Tschetschenien herrsche allein das Gesetz des Krieges. „Dein Leben hängt von dem ab, der eine Waffe in der Hand hat“, sagt Politkowskaja. „Dort bist du kein Mensch.“

Schwere Vorwürfe erhebt die Journalistin gegen den Westen. Wenn es das erste Kriegsjahr wäre, könnte es ja schon sein, dass in Europa niemand davon wisse, sagt sie. Aber im vierten Kriegsjahr? Über drei Jahre lang habe der Westen zugelassen, dass in Tschetschenien die Menschenrechte nicht gelten. In ihre Stimme mischt sich Verbitterung: „Ich glaube, dass der Westen nichts ändern will.“ Die OSZE-Mission sei aus Tschetschenien abberufen worden, auf Drängen der russischen Regierung, als sei alles ganz normal. Einer Delegation des europäischen Parlaments hat Moskau die Einreise nach Tschetschenien verweigert. „Und wie reagierte der Westen darauf? Mit völligem Schweigen“, kritisiert Politkowskaja. Nur der Europarat kümmere sich noch um die Situation in der Kaukasusrepublik. In der vergangenen Woche erst war eine Delegation vor Ort. Doch aus ihrer Sicht müsste der Westen noch weit mehr tun: „Die Europäer sollten Putins Regierung zum Frieden zwingen", sagt die Journalistin. Friedensgespräche sind aus ihrer Sicht nur mit internationaler Vermittlung möglich.

Nach der Geiselnahme im Moskauer Musicaltheater „Nord-Ost“ ist es jedoch noch schwerer geworden, beide Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen. Die russische Regierung lehnt es ab, mit dem früheren tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow zu verhandeln, weil sie ihn und seinen Sondergesandten Achmed Sakajew als Terroristen betrachtet. Das weist Politkowskaja zurück. In der Kaukasusrepublik gewinnen unterdessen die Radikalen an Boden, besonders unter den jungen Männern, die nichts als den Krieg kennen. „Ihre Vorbilder sind die Terroristen aus dem „Nord-Ost“ und die Attentäter von Grosny“, sagt Politkowskaja. Auch deshalb sei beim Friedensprozess Eile geboten: „Noch ein Jahr, und wir können diese jungen Leute nicht mehr umstimmen.“

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