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Politik: Die Fäden in der Hand

Arafat muss Abbas neben sich akzeptieren. Doch der Palästinenserpräsident hat die größeren Kompetenzen

Von Charles A. Landsmann,

Tel Aviv

Die Nachrufe kamen zu früh: Jassir Arafat ist alles andere als politisch tot. Vielmehr hat der Palästinenserpräsident trotz seines Nachgebens im Machtkampf gegen den ersten palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas seine Stellung insgesamt verbessert. Zwar muss Arafat erstmals einen Ministerpräsidenten neben oder vielmehr unter sich akzeptieren. Doch Arafat trat ihm kaum Kompetenzen ab und musste nur wenige personelle „Kröten“ schlucken.

Der israelische Experte Ronnie Schaked stellt ernüchtert fest: „Dies war keineswegs Arafats Schwanengesang.“ Der nationalistische Vizeminister und Anführer der Siedler im Gazastreifen, Zvi Hendel, tobt gar: „Von einer Ausschaltung Arafats kann keine Rede sein, vielmehr von einer Stärkung.“ Israels Regierungschef Ariel Scharon hat vor eineinhalb Jahren Arafat amtlich zur „nicht relevanten Person“ erklären lassen und auch danach unermüdlich weiter dessen vollständige Entmachung gefordert. Jetzt gibt man sich in Arafats Umgebung zufrieden: Die internationale Legitimation sei wieder da.

In palästinensischen Kreisen heißt es, der ägyptische Geheimdienstchef Omar Suleiman habe bei seinen Vermittlungsbemühungen im Namen der USA und Israels versprochen, dass die Reisebeschränkungen gegen Arafat aufgehoben würden. Die Kanzlei des israelischen Ministerpräsidenten Scharon dementierte allerdings eine solche Verpflichtung. Wenn Arafat tatsächlich sein größtenteils zerstörtes Hauptquartier in Ramallah und die Westbank-Stadt nach fast zwei Jahren verlassen könnte, dann würde er wohl wieder auf die internationale Bühne zurückkehren. Vor allem aber strebt er Besuche im Gazastreifen und in den Städten im Westjordanland an – falls letztere von Israels Armee geräumt werden –, um seine wiedergewonnene Herrschaft zu dokumentieren.

Arafat kontrolliert Sicherheitskräfte

Arafats Stellung in der palästinensischen Öffentlichkeit ist durch die Verhandlungen mit Abbas nach Ansicht von Beobachtern gestärkt worden. Er hat es geschafft, den designierten Premier und dessen Sicherheitsminister Mohammed Dachlan als Nominierungen der Regierungen von den USA und Israel darzustellen, die ihm aufgezwungen worden sind. Beide könnten jetzt versuchen, Israel gegenüber härter aufzutreten als Arafat selbst, um ihr Image wieder loszuwerden. Dachlan fehlt ein Großteil der zur Terrorbekämpfung notwendigen Truppen. Ihm unterstellt sind nur der präventive Sicherheitsdienst, also die Abwehr, die zivile Polizei und der Zivilschutz. Arafat hat sich den Oberbefehl über die rund zehn weiteren und meist wichtigeren Sicherheitsorgane und -kräfte gesichert. Diese sind ihm allesamt loyal ergeben, wie die ursprünglich schlagkräftige, elitäre Präsidialgarde „Force 17“, die nationalen Sicherheitskräfte als Ersatzarmee sowie der Allgemeine Informationsdienst, also der umfassende Geheimdienst. Mit diesen Kräften könnte Arafat jede wirksame Terrorbekämpfung unterbinden und damit Fortschritte bei den Friedensbemühungen verhindern.

Noch steht die Zusammensetzung der neuen Regierung nicht endgültig fest. Die palästinensischen Medien veröffentlichten am Donnerstag abweichende Ministerlisten. Fest steht, dass die loyalen Arafat-Anhänger sowohl in der Regierung als auch im Autonomieparlament, dem Palästinensischen Legislativrat, deutlich in der Mehrheit sind. So kann Arafat ihm unangenehme Minister verhindern, indem er die Abgeordneten gegen deren Berufung stimmen lässt. Dass Arafat darüber hinaus weiterhin allein über alle Gelder der PLO verfügt, die wichtigste Einnahmequelle der Palästinenser, zeigt auf, dass er auch die wirtschaftliche Macht für sich beansprucht. Leicht könnte Mahmud Abbas in die Rolle einer Marionette gedrängt werden.

Obwohl die Entmachtung Arafats nur bruchstückhaft gelungen ist, haben die Amerikaner die Veröffentlichung des Fahrplanes des Nahostquartetts – UN, USA, EU und Russland – für einen Zeitpunkt direkt nach Abbas’ Amtsantritt angekündigt, also wohl für die kommende Woche. Das Hauptproblem noch vor der Umsetzung des Fahrplans besteht aber in der ultimativen Forderung Scharons, der mit Rückendeckung der USA einen sofortigen Stopp des palästinensischen Terrors fordert. Abbas und Dachlan werden sich voraussichtlich extrem schwer tun, dieser Forderung zu entsprechen: Nicht nur Arafat stellt sich ihnen entgegen. Es fehlen ihnen darüber hinaus weitgehend die wirksamen Instrumente dazu. Zudem haben die Islamisten, kompromisslose Gegner der Pläne des Nahost-Quartetts, in den vergangenen Jahren gewaltig an Unterstützung in der Öffentlichkeit zugelegt. Laut einer Meinungsumfrage liegen die Islamisten gemeinsam mit Arafats und Abbas’ Fatah-Bewegung gleichauf. Der Versuch, sie unter Kontrolle zu bringen und gar zu entwaffnen, könnte deshalb durchaus zu bürgerkriegsähnlichen Situationen führen.

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