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Und plötzlich sieht der „nette Herrn Rösler“, wie er sich selbst vor zwei Jahren augenzwinkernd genannt hat, ganz und gar nicht mehr „nett“ aus.

© dpa

Die FDP nach der Wahl: Buckeln und treten

Philipp Rösler hat alle überrascht. Mit klarer Stimme und festem Blick wies er seine Widersacher in die Schranken. Er will Parteichef bleiben und es als Tandem mit Brüderle versuchen. Und plötzlich sieht der nette Herr Rösler gar nicht mehr nett aus.

Von Antje Sirleschtov

Der Stoß kam überraschend, er war präzise geführt. Keinen Augenblick hatte man den Eindruck von Unsicherheit. Niccolò Machiavelli, der Altvater aller Machtregeln, hätte an diesem Montag in Berlin seine Freude gehabt. Nichts, hatte Machiavelli einst sehr weise erkannt, verschaffe einem Fürsten so hohe Ehre, wie eine „große Unternehmung und der seltene Beweis von Mut“. Philipp Rösler, nennen wir den 39-Jährigen mal den Fürsten der FDP, hat die Gunst der Stunde genutzt und alles auf eine Karte gesetzt. Er hat die Machtfrage mit offenem Visier gestellt und seine Widersacher in der Partei brüskiert. Monatelang ließen die ihren Vorsitzenden wie einen dummen Jungen dastehen. Seit Montag ist die Führungsfrage der FDP geklärt: Philipp Rösler bleibt Parteichef, und die, die an seinem Stuhl gesägt haben, müssen nun nach seiner Pfeife tanzen.

„Tandem-Lösung“ werden die Nachrichtenagenturen das neue Führungsduo von Rösler und seinem künftigen Spitzenkandidaten Rainer Brüderle an diesem Tag nennen. Doch das Bild, das auf den ersten Blick Eintracht und Harmonie vermittelt, führt in die Irre. Denn auf dieses Tandem haben sich nicht zwei freiwillig gesetzt, sondern der Junge hat den Alten auf den Sattel gezwungen. Und zwar nach vorn. Dorthin, wo der scharfe Fahrtwind weht. Da muss nun Brüderle, der 67-Jährige, strampeln.

Doch beginnen wir am frühen Morgen dieses ersten Tages nach der Landtagswahl in Niedersachsen. Eine schwarze Limousine nach der anderen bahnt sich kurz vor neun den Weg durch die verschneite Berliner Mitte in die Tiefgarage des Thomas-Dehler-Hauses. Wie immer nach Landtagswahlen kommt dort das Präsidium der FDP zusammen, um den vorangegangenen Wahlabend auszuwerten. Die Stimmung unter den FDP-Granden hätte eigentlich gelöst sein sein müssen. In Hannover hatte man in der Nacht zwar die Regierungsbeteiligung verloren, aber ein fulminantes Ergebnis eingefahren. Noch vor vier Wochen mussten die Liberalen im Heimatland von Rösler darum bangen, überhaupt wieder im Landtag vertreten zu sein. Jetzt haben sie fast zehn Prozent bekommen.

Und doch liegt an diesem Morgen weit Schwereres als der Berliner Neuschnee über der Gremiensitzung der FDP-Führung. Denn trotz des guten Wahlergebnisses wollen nicht wenige in der FDP den Vorsitzenden Rösler so rasch wie nur irgend möglich loswerden. Sie legen ihm zur Last, dass er die Partei seit seinem Amtsantritt im Mai 2011 nicht aus dem Umfragekeller herausgeholt hat. Sie trauen ihm weiter nicht zu, dass er im Bundestagswahlkampf die FDP wieder in eine schwarz-gelbe Regierungsbeteiligung führen kann. Schon in der Nacht zum Montag hieß es, das gute Ergebnis in Niedersachsen sei nicht mehr als das Ergebnis einer Leihstimmenkampagne, also nicht selbst erkämpft. Ohne die Hilfe der CDU-Wähler wäre man gerade so in den Landtag gekommen, wenn überhaupt. Und mit einem Trittbrettfahrer an der FDP-Spitze will man nicht in die Bundestagswahl gehen. Es wird über einen vorgezogenen Parteitag spekuliert, und alle sind gespannt, wie der erfahrene Rainer Brüderle es wohl anstellen wird, den Parteivorsitzenden Rösler trotz des guten Ergebnisses schlecht aussehen zu lassen.

Rösler ahnt, was auf ihn zukommt. Sehr genau hat er beobachtet, dass nur einer der Führungsleute der Partei, nämlich der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki, den Wahlerfolg in Hannover auch ihm, dem Vorsitzenden, zugeschrieben hat. Und bei Kubicki, na ja, da weiß man ja aus Erfahrung nie so genau, was der sich bei so einem Lob gedacht haben mag. Die anderen jedenfalls, Landesvorsitzende und auch Minister in Berlin, hielten sich auffällig bedeckt. Vielleicht setzten sie darauf, dass es im Laufe der nächsten Wochen irgendwie gelingen würde, das gute Wahlergebnis in Hannover den Niedersachsen gutzuschreiben und Rösler aus dem Amt zu drängen.

Der Vorsitzende jedoch muss in der Nacht eine wichtige Entscheidung für sich selbst getroffen haben. Mag sein, dass es ihm in den letzten zwei Jahren nicht gelungen ist, die Partei zu einen und neu aufzustellen. Mag auch sein, dass er dabei selbst eine ganze Menge Fehler gemacht hat. Aber ganz allein dafür verantwortlich gemacht und vor der Bundestagswahl aus dem Amt gejagt zu werden: Nein, das wollte sich Philipp Rösler wohl nicht antun. Spätestens seit Freitagmorgen war Rösler bewusst, dass Rainer Brüderle ihn aus dem Chefposten verdrängen will. 48 Stunden vor der Wahl hatte sich nun auch der Fraktionschef zum Befürworter eines vorgezogenen Parteitages erklärt. So einen aufsehenerregenden Schritt konnte Rösler nur als versteckte Ankündigung der Machtfrage verstehen.

Schon am Sonntagabend hatte der Bedrängte versucht, mit Brüderle eine gütliche Einigung herbeizuführen. Das Angebot lautete: Brüderle wird Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, und Rösler bleibt Parteichef. Was genau in diesem Vier-Augen-Gespräch gesagt wurde, weiß natürlich niemand. Aber man darf vermuten, dass Brüderle auf Röslers Vorschlag nicht so eingegangen ist, dass der sich in seinem Amt gesichert sah. Anders ausgedrückt: Brüderle scheint Tandemfahrten nicht sonderlich zu schätzen. Und schon gar nicht, wenn er sich abstrampeln muss, während der andere Haltungsnoten verteilt, beim Sieg mit auf dem Treppchen stehen oder bei einer Niederlage sich womöglich aus dem Staub machen will. Brüderle ist schließlich seit Jahrzehnten im Geschäft. So einer weiß, dass man die Macht entweder ganz oder gar nicht hat.

Am Ende hat Brüderle klein beigegeben. Montagmorgen sorgte Philipp Rösler, ganz nach dem machiavellischen Fahrplan, dafür, dass alle Welt erfährt, wie er die Machtfrage stellt: Zunächst hat er die Argumente seiner Gegner aufgegriffen und selbst vorgeschlagen, den Parteitag, der im Mai in Nürnberg vorgesehen war, auf März vorzuziehen und dort, möglichst weit vor der Bundestagswahl, über den künftigen Parteichef abzustimmen. Dann hat er den Präsidien angeboten Rainer Brüderle zum Spitzenmann, also zum „Gesicht der FDP“ im Bundestagswahlkampf zu ernennen. Und schließlich, was das Wichtigste war: Rösler hat Brüderle angeboten, beim Parteitag für das Amt des FDP-Vorsitzenden zu kandidieren, wenn er denn glaube, dass er die Partei besser führen kann als ein 39-Jähriger aus Niedersachsen mit vietnamesischen Wurzeln.

Keiner hatte Rösler diesen Schritt zugetraut

Um es kurz zu machen: Keiner unter den Granden der FDP hätte Rösler diesen Schritt zugetraut. So, wie er sich vor zwei Jahren auf den Posten von Guido Westerwelle hatte drängen lassen, so glaubte man ihn auch wieder loswerden zu können. Dass dieser junge Kerl den alten Fahrensmann Brüderle offen herausfordert, das hat alle überrascht. Brüderle wird später sagen, er habe überhaupt nicht Vorsitzender der FDP werden wollen, was gelinde gesagt gelogen war. Wozu sonst hätte er die vielen kritischen Bemerkungen der innerparteilichen Heckenschützen in den letzten Monaten kommentarlos hinnehmen und sich zum Schluss ihnen auch noch anschließen sollen, wenn er nicht FDP-Chef hätte werden wollen.

Der Ausgang dieses dramatischen Montags ist rasch erzählt: Erst gab es ein Vier-Augen-Gespräch von Rösler und Brüderle. Dann wurde der gesamte Vorstand über die neue Aufstellung zur Bundestagswahl informiert, und zu guter Letzt sah man einen sichtlich stolzen Philipp Rösler nachmittags vor die Kameras treten. „Nur im Team“ werde die FDP den Erfolg von Niedersachsen auf den Bund übertragen können, münzte Rösler seinen Schachzug zur parteipolitischen Selbstverständlichkeit um. Rainer Brüderle werde als „Spitzenmann“ zum Aushängeschild der Liberalen werden, alle anderen erfolgreichen Politiker der Partei, etwa der nordrhein-westfälische Landeschef Christian Lindner, würden ebenfalls zum Team gehören. Und „ich werde als Parteivorsitzender das gesamte Team führen“. Selten sah man einen Parteichef mit so klarer Stimme und so festem Blick seine Widersacher in die Schranken weisen. Jeder, der bisher an Rösler herumgekrittelt hatte, muss nun unter seiner Führung einen sichtbaren Beitrag im Wahlkampf leisten. Im Team wird sich keiner über den Chef beschweren können, ohne selbst Rechenschaft über seine Leistung ablegen zu müssen.

Keine Regung konnte man Brüderles Gesicht entnehmen, als er neben Rösler stand und der seine Schlachtordnung für 2013 vorstellte. Lediglich dem Fürsten der FDP zu huldigen blieb ihm: „Der Kapitän hat die Binde. Der Kapitän ist der Parteivorsitzende.“ Keine drei Wochen ist es her, als Rainer Brüderle beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart seiner Partei noch kämpferisch zugerufen hatte: „Wer sich klein macht, wird klein gemacht.“ Philipp Rösler stand an jenem Sonntag verunsichert und angeschlagen an der Seite und durfte Brüderles Satz durchaus auch auf sich selbst beziehen. An diesem Montag hat er ihn umgedreht. Und plötzlich sieht der „nette Herrn Rösler“, wie er sich selbst vor zwei Jahren augenzwinkernd genannt hat, ganz und gar nicht mehr „nett“ aus.

Ob der Dauerstreit an der Spitze der FDP damit beendet sein wird, ob all die Scharmützel jetzt aufhören? Schauen wir doch noch mal nach, was der italienische Philosoph Machiavelli im 15. Jahrhundert zu Klärung dieser Frage beizutragen hatte: „Eine Veränderung“, wusste er, „bewirkt stets eine weitere Veränderung“. Es sind ja noch acht Monate bis zur Bundestagswahl.

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