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Politik: „Die Forderung ist asozial“

Auch die CDU übt harsche Kritik an JU-Chef Mißfelder. Doch er traf offenbar einen Nerv der Jugend

Ginge es nach der PDS, dann müsste man Philipp Mißfelder jetzt mal ordentlich „den Arsch versohlen“. Doch auch die nicht-sozialistischen Reaktionen auf die Hüftgelenk-Attacke des Vorsitzenden der Jungen Union fallen nicht gerade milder aus. Zwar zollt Unionskollegin Katherina Reiche Mißfelder öffentlich Respekt dafür, dass er für seine Generation „mal den Kopf aus dem Fenster gelehnt“ habe – doch der Kopf hat mittlerweile etliche Beulen. Wohl nie zuvor hat ein 23-Jähriger in der Politik ein solches Echo hervorgerufen.

„Unethisch“, schimpft Sozialministerin Ulla Schmidt, „menschenverachtende Polemik“, grollt Kabinettskollegin Renate Schmidt. Die Sozialverbände in Deutschland können gar nicht fassen, was Mißfelder da von sich gegeben hat. Und auch die Älteren in der Union schütteln den Kopf über den eigenen Sprössling. „Menschenverachtend“ nennt auch Rita Süssmuth die Forderung Mißfelders, 85-Jährige sollten künftig keine künstliche Hüfte mehr von der Gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt bekommen. „Unsäglich“ und „mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar“, poltert CDU-Mann Hermann-Josef Arentz. Und auch die meisten Generationsgenossen haben es eilig, sich von den radikalen Thesen Mißfelders zu distanzieren – egal, aus welchem politischen Lager sie kommen. „Die Forderung ist asozial“, sagt Juso-Chef Niels Annen in seltenem Einklang mit dem Bundesvorsitzenden der Jungen Liberalen (Julis), Daniel Bahr, der von „platten Ideen“ des JU-Vorsitzenden spricht.

Mißfelder allein zu Haus, als einsamer Kämpfer für die Interessen seiner Generation? Nicht ganz. Wenigstens die Schwesterorganisation der JU, der Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS), sprang dem Radikalo am Dienstag zur Seite. „Wir brauchen ein neues Bewusstsein dafür, dass der Begriff Solidargemeinschaft nicht bedeutet, ein Gesundheitssystem einseitig auf Kosten der Jungen zu finanzieren“ erklärt RCDS-Chefin Barbara von Wnuk-Lipinski. Mißfelder habe mit seinen Äußerungen „den Nerv der Jungen getroffen und vollen Rückhalt bei den Jungen in der Union“.

Zumindest mit dem „Nerv der Jugend“ könnte die RCDS-Chefin sogar Recht haben. Denn unterhalb der offiziellen Empörungsschwelle wird dieser Tage deutlich, dass Mißfelder mit seiner überzogenen Äußerung eine Debatte über Generationengerechtigkeit angezettelt hat, die viele Jungpolitiker führen wollen. Der junge SPD-Abgeordnete Carsten Schneider beklagt sich bereits über die „Rentnerlobby“, die zu groß sei. „Wenn man sich alle Politikfelder ansieht, dann ist natürlich richtig, dass wir eine eklatante Schieflage der Belastungen zwischen Jüngeren und Älteren zu Lasten der nachfolgenden Generationen haben“, sagt Daniel Bahr. Die Lösung für mehr Generationengerechtigkeit sieht der Juli-Chef in stärkerer Selbstbeteiligung – nicht nur im Gesundheitswesen.

Auch Niels Annen klagt, dass viele Entscheidungen von heute „meiner Generation später massive Probleme bereiten werden“. Für das Gesundheitswesen schlägt Annen die Einführung der Bürgerversicherung und radikale Strukturreformen vor. Weitere Privatisierung, wie sie Bahr und Mißfelder fordern, schmälern aus Annens Sicht nur die Akzeptanz des Solidarsystems. Das aber will er unbedingt erhalten. „Wir werden als junge Generation nicht drumherum kommen, für unsere Interessen zu streiten“, sagt Annen. Als Hauptangriffspunkt sieht der Juso-Chef aber weniger die sozialen Sicherungssysteme, sondern die Arbeitsmarktsituation: „Die Rekordjugendarbeitslosigkeit ist die eigentliche Ungerechtigkeit unserer Generation gegenüber.“ Es sei nicht gerecht, wenn heute etwa eine Million junge Leute ohne Arbeit und Ausbildungsplatz seien.

Markus Feldenkirchen

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