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An diesem Schreibtisch mag sich bei Horst Köhler im Verlauf von sechs Jahren mehr Frust angesammelt haben als allgemein bekannt war. Archivfoto: Wolfgang Kumm/dpa

© picture-alliance/ dpa

Politik: Die Fragen bleiben

Horst Köhler liefert auch bei seinem Abschied von Bellevue keine weitere Erklärung für seinen Rücktritt

Berlin - Es ist ein Abschied in allen Ehren, für einen der sich schwer in seiner Ehre verletzt gefühlt haben muss. Horst Köhler steht im Park von Schloss Bellevue auf einem roten Podest. Vor ihm sind die Soldaten des Wachbataillons zum Großen Zapfenstreich angetreten, dazu Fackelträger, Spielmannszug und Musikkorps. Gleich werden sie die drei Stücke der Serenade spielen. Köhler hat sie selbst ausgesucht: Zwei Märsche und einen Jazz-Klassiker. Der trägt den Titel „St. Louis Blues“ und erzählt von enttäuschter Liebe.

Viel ist spekuliert worden in Berlin, seit das neunte Staatsoberhaupt vor gut zwei Wochen in einer zweiminütigen Ansprache seinen Rücktritt verkündet hat – „mit sofortiger Wirkung“, wie Horst Köhler an jenem Montag nach einem kurzen Blick auf sein Manuskript in die Kameras sagte, als könne er es selbst nicht glauben. Er verlas dann noch ein paar Sätze, bevor er an der Hand seiner Frau aus dem Langhanssaal von Schloss Bellevue eilte und ein ratloses Land zurückließ.

Warum? Was waren die eigentlichen Gründe? Wollte Köhler angesichts der schweren Krise der schwarz-gelben Bundesregierung nicht noch einmal vor die Entscheidung gestellt werden, den Bundestag vorzeitig aufzulösen, wie er es 2005 auf Bitten des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder getan hatte? Fühlte er sich bei der Eilentscheidung über das Euro-Rettungspaket in seinem Recht zur Gesetzesprüfung beeinträchtigt? Oder kam da ein Empfindsamer nicht zu Recht mit den Grenzen seines Amtes?

Für viele hat der Mann im dunklen Anzug, der da am Dienstagabend auf dem Podest vor seinem einstigen Amtssitz steht, die Frage nach dem Warum in seiner Rücktrittserklärung jedenfalls nicht zufriedenstellend beantwortet. Dass er tatsächlich hingeworfen haben könnte, weil manche Grüne und viele Medien ihn wegen missverständlicher Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr kritisierten, mitten in der für das Land so bedrohlichen Finanz- und Eurokrise – man mag es noch immer kaum glauben.

Aber Horst Köhler liefert auch am Tag seines Abschieds keine weiterführende Erklärung. Nicht beim Treffen mit den Mitarbeitern des Präsidialamts am Morgen, bei dem er Hände schüttelt und Fotos von sich verteilt. Und auch nicht bei Empfang für 400 Gäste am Abend, den der amtierende Bundespräsident, Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD), vor dem Zapfenstreich im Schloss für ihn ausrichtet. „Ich habe mich zu den Gründen meines Rücktritts öffentlich geäußert. Dem habe ich nichts hinzuzufügen“, sagt Köhler in seiner Ansprache. Dann fügt er noch eine Mahnung hinzu: „Respekt und Wahrhaftigkeit sollten in der politischen Kultur des Landes einen festen Platz haben.“

Auf dem roten Podest im Schlosspark muss Horst Köhler oft blinzeln. Er weiß natürlich, dass alle Augen auf ihn gerichtet sind in diesem Augenblick, die ARD überträgt das militärische Zeremoniell live. Aber er bleibt gefasst. Manchmal glaubt man sogar den Anflug eines Lächelns um seinen Mund zu erkennen.

Im Publikum sitzen Angela Merkel und Guido Westerwelle, sie lächeln nicht. Die Kanzlerin und ihr Vizekanzler tragen schwarz, wie fast alle Gäste an diesem Abend. Merkel und Westerwelle haben Horst Köhler vor knapp sechs Jahren zum Bundespräsidenten gemacht. Sie wollten damit die Weichen für ihr schwarz-gelbes Bündnis stellen. Jetzt müssen sie fürchten, dass Horst Köhler mit seinem Rücktritt den Grundstein für das Ende ihrer Koalition gelegt hat.

Es geht auf 23 Uhr zu, als der Große Zapfenstreich vor dem Schloss Bellevue endet. Das Musikkorps spielt die Nationalhymne, Horst Köhler singt mit. Dann treten sie ab, die Garde-Soldaten mit ihren Gewehren, die Fackelträger, das Musikkorps und schließlich Horst Köhler. Er winkt noch einmal auf dem Weg vom Podest zurück ins Schloss, er lächelt jetzt wirklich. Der ehemalige Bundespräsident wirkt erleichtert. Er hat es hinter sich. Zurück lässt er Angela Merkel, Guido Westerwelle und die Frage nach dem Warum.

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