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Politik: Die Gewalt reißt nicht ab

Wieder Tote bei Anschlag / UN ziehen Mitarbeiter ab.

Die Gewaltwelle in Afghanistan will nicht enden. In der Nähe einer US-Militärbasis am Flughafen der ostafghanischen Stadt Dschalalabad jagte am Montag ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Auto in die Luft und tötete neun Afghanen. Zwölf weitere Menschen wurden verletzt. Die Taliban sprachen von einem Racheakt für die Koran-Verbrennung auf einem US-Stützpunkt. Zugleich reklamierten sie, Essen auf der Basis Torkham an der Grenze von Afghanistan und Pakistan vergiftet zu haben. Die Internationale Schutztruppe Isaf bestätigte laut Berichten, dass die Kantine geschlossen wurde. Unklar ist, ob auch der Anschlag auf die beiden US-Militärberater am Samstag im hochgesicherten Innenministerium auf das Konto der Taliban geht. Die afghanischen Behörden suchen nach einem 25-jährigen Polizeioffizier namens Abdul Sabor. Er soll die beiden Männer mit Kopfschüssen getötet haben. Die Taliban behaupten, Sabor sei einer ihrer Leute gewesen.

Nach den USA und Großbritannien zogen auch Deutschland und Frankreich ihre zivilen Berater vorsorglich aus afghanischen Ministerien und Behörden zurück. Dies ist ein schwerer Rückschlag für das Land. Die Berater spielen eine Schlüsselrolle dabei, Afghanistan aufzubauen. So berät ein deutscher Experte den Bergbau minister etwa bei den Vorbereitungen für die kommerzielle Förderung wichtiger Rohstoffe. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes in Berlin hat allein Deutschland 30 Experten aus verschiedenen afghanischen Institutionen abgezogen. Hinzu kommen zwei deutsche Experten bei der europäischen Polizeimission sowie nach Angaben des Bundesinnenministeriums zwei Berater des stellvertretenden afghanischen Innenministers. Drei Verbindungsoffiziere der Bundeswehr bei der afghanischen Regierung werden zunächst im Isaf-Hauptquartier bleiben. Wie das deutsche Entwicklungsministerium dem Tagesspiegel sagte, werden die anderen Berater, soweit dies möglich ist, einen Teil ihrer Arbeit nun von zu Hause aus erledigen. Eine Ausreise sei zunächst nicht vorgesehen.

Auch die Vereinten Nationen am Montag haben ihr internationales Personal aus ihrem Stützpunkt in der nördlichen Provinz Kundus abgezogen. Wie die UN-Mission in Afghanistan (Unama) weiter mitteilte, soll das Personal vorübergehend an einen anderen Standort innerhalb Afghanistans verlegt werden.

Noch hoffen die Verantwortlichen in Berlin, Paris und auch in Kabul, dass sich die Lage bald wieder entspannt. Internationale Beobachter sind jedoch skeptisch. Die Situation sei noch nie so kritisch gewesen, meinte Martine van Bijlert vom Afghanistan Analyst Network. „Es könnte ein Wendepunkt sein.“ Die offenbar versehentliche Koran-Verbrennung war dabei wohl nur der letzte Funke, um die Menschen auf die Straße zu treiben. „Ein Gefühl aus Angst, Zorn und Verbitterung hat sich für einige Zeit angestaut, und es brauchte nur einen einzigen Vorfall, um ein großes Feuer zu entzünden“, sagte Candace Rondeaux von der International Crisis Group der Agentur AFP.

Die jüngste Protest- und Gewaltwelle könnte auch Washingtons Pläne für einen Truppenabzug erschweren. Danach sollen die afghanischen Sicherheitskräfte Schritt für Schritt die Kontrolle über das Land übernehmen und die ausländischen Soldaten nur noch anleiten und trainieren. Doch eine geordnete Übergabe der Verantwortung wird angesichts der jüngsten Spannungen und des zunehmenden Misstrauens zwischen den Afghanen und ihren ausländischen Partnern immer unwahrscheinlicher.

Als Hoffnungsschimmer kann da gelten, dass Pakistans Regierungschef Yousuf Raza Gilani die Taliban erstmals öffentlich aufgerufen hat, Friedensgespräche mit Afghanistans Regierung zu führen. Gilanis Appell könnte einen Politikwechsel bedeuten und den Weg für direkte Gespräche zwischen Afghanistans Präsident Karsai und den Taliban ebnen. mit uls

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