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Politik: Die Gleise des Volkes

Von Moritz Döbler

Es geht um keine Kleinigkeit. Wem soll die Deutsche Bahn – das Unternehmen und auch 34 000 Kilometer Schienen – gehören? Generationen von Steuerzahlern haben gezahlt. Unvorstellbare Summen. Man stelle sich vor: Die ersten Investitionen ins deutsche Schienennetz liegen ja schon mehr als anderthalb Jahrhunderte zurück. 1828 begannen die Arbeiten an einem eisenbeschlagenen Schienenweg durch das Deilbachtal im Ruhrgebiet. Auf der historischen Trasse, auf der drei Jahre später Pferde Kohlenwagen ziehen sollten, fährt heute eine S-Bahn.

Jene Pionierzeiten sind lange vorbei, heute heißen Fahrkarten Tickets, und die kann man sogar per Handy lösen. Dass die Deutsche Bahn ein erfolgreiches Unternehmen ist, daran haben viele Einzelpersonen einen Anteil, auch Hartmut Mehdorn – aber eben auch ein ganzes Volk. Schon bald, in wenigen Wochen, wird das Parlament über die Zukunft dieses ganz besonderen Unternehmens zu entscheiden haben. Die selbst gestellte Aufgabe lautet, so viel zu privatisieren wie möglich, ohne die Interessen der Bürger – wozu in diesen Zeiten besonders die Sicherheitsbedürfnisse zählen – zu verletzen. Gemäß dem ordnungspolitischen Grundsatz: Privatisierung führt zu mehr Wettbewerb und damit zu sinkenden Preisen.

Diese Theorie ist praxiserprobt, es gibt viele positive Beispiele – aber bei der britischen Eisenbahn ging es ziemlich schief. Einfach ist es also nicht. Und eine vollständige Privatisierung ist ohnehin nicht zu machen, so sieht es das Grundgesetz in Artikel 87 über die „Verwaltung der Eisenbahnen des Bundes“ vor. Dort heißt es, dass Netz und Betreiber mehrheitlich in der Hand des Bundes bleiben müssen und dieser bei der Bahn das Wohl der Allgemeinheit zu gewährleisten hat.

Die Bahn betreibt nun erheblichen Aufwand, um die Allgemeinheit davon zu überzeugen, dass Betrieb und Netz zusammengehören und gemeinsam an die Börse gebracht werden müssen. Da gibt es offene Manöver wie die Berufung des bayerischen Wirtschaftsministers mit besten politischen Kontakten zum Vorstandsmitglied. Und da gibt es verdeckte Aktionen wie den inszenierten Tarifkonflikt, den jetzt Altkanzler Gerhard Schröder schlichten soll. Weil sich Management und Gewerkschaft beim Börsengang einig sind, verlangt die Gewerkschaft eine Beschäftigungsgarantie für den Fall, dass die Politik anders entscheidet. Die Botschaft der Show ist, dass eine Privatisierung ohne Netz Arbeitsplätze kostet. Was in Wirklichkeit so sein kann, aber nicht naturgesetzartig so sein muss.

Die Bundesregierung hat nun gestern intern Einigkeit hergestellt, dass Netz und Betrieb nicht getrennt werden sollen. Das ist ein Etappensieg für die Bahn. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre drei zuständigen Minister Michael Glos, Peer Steinbrück und Wolfgang Tiefensee diskutieren nur noch Varianten. Dazu gehören Nießbrauch und Rückholoptionen – Konstruktionen, die der Entscheidung ihre Endgültigkeit nehmen könnten.

Denn das Regierungslager ist längst nicht so geschlossen wie die Tarifparteien. Die Bundesregierung hat noch nicht den Rückhalt ihrer Fraktionen. Und jeder Abgeordnete des Bundestags trifft in seinem Wahlkreis auf hitzige Meinungen. Eine unvoreingenommene Sicht auf die Bahn gibt es nicht, weil jeder betroffen ist, ob als Kunde, Beschäftigter oder Steuerzahler. Und so gibt es viele Meinungen, aber wenige Wahrheiten. Eine davon ist, dass es gute Gründe für die Privatisierung gibt. Aber Pflicht ist sie nicht.

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