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Todesopfer rechter Gewalt. Vor einem Jahr erschoss mutmaßlich der Neonazi Stephan Ernst den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

© Swen Pförtner/dpa

„Die größte Gefahr geht von rechts aus“: Mehr judenfeindliche Straftaten als in den vergangenen 20 Jahren

Innenminister Seehofer stellt einen alarmierenden Bericht über Straftaten politischer Fanatiker vor. Rechte Judenfeinde verursachen einen traurigen Rekord.

Von Frank Jansen

Die Polizei hat im vergangenen Jahr 2032 judenfeindliche Straftaten und damit einen traurigen Rekord registriert. „Das ist der höchste Stand seit Beginn der statistischen Erfassung“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch bei der Vorstellung des Berichts zur Kriminalität von Extremisten 2019. Seehofer bezog sich auf die Einführung des polizeilichen Erfassungssystems „Politisch motivierte Kriminalität (PMK)“ im Jahr 2001. Seitdem gab es nie eine härtere Bilanz bei antisemitischer Kriminalität als 2019.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist entsetzt. Präsident Josef Schuster sagte dem Tagesspiegel, „inzwischen ist es so, dass man als Jude in Deutschland im Alltag deutlich häufiger mit Antisemitismus konfrontiert ist als etwa vor zehn Jahren“. Die Folge sei, „dass viele Juden möglichst vermeiden, auf der Straße als Juden erkennbar zu sein“.

Weniger rechte Gewalttaten, aber drei Morde

Seehofer betonte, mehr als 93 Prozent der antisemitischen Delikte hätten einen rechten Hintergrund. Außerdem hat rechte Kriminalität insgesamt zugenommen. Die Polizei stellte im vergangenen Jahr 22.342 Delikte fest, fast 2000 mehr als 2018. „Das ist mehr als die Hälfte aller erfassten politisch motivierten Straftaten“, sagte der Minister. „Die größte Gefahr geht von rechts aus.“

Gewaltdelikte rechter wie auch anderer Extremisten nahmen jedoch ab. Die Tendenz wird allerdings überschattet vom rechtsextremen Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 und dem antijüdischen Angriff in Halle im Oktober mit zwei Toten.

Grüne und FDP fordern bessere "Analysefähigkeit" der Sicherheitsbehörden

Die innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion im Bundestag, Irene Mihalic, sagte dem Tagesspiegel, "auch beim Bundesinnenminister ist mittlerweile die besondere Qualität der Gefahr, die von rechts ausgeht angekommen". Die hohen Zahlen rechter Gewalt und die besorgniserregenden Entwicklungen im Bereich antisemitischer Gewalt "zeichnen ein erschreckendes Bild und verdeutlichen, dass wir eine nachhaltige Strategie gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus brauchen".

Ein Teil dieser Strategie müsse sein, "die Analysefähigkeiten der Sicherheitsbehörden endlich zu verbessern". Die Einrichtung eines Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus sei ein wichtiger Schritt, allerdings zeige ein Blick auf die Agenda, "dass es im Bereich der Sicherheitsbehörden nach wie vor keine Bestrebungen gibt, die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu verbessern".

Ähnlich argumentiert der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle. Die Analysefähigkeit der Sicherheitsbehörden "muss ausgebaut werden, wir brauchen dringend eine eine Situation, in der offene Stellen auch tatsächlich besetzt werden und wir müssen auch die digitalen Kompetenzen unserer Behörden in diesem Bereich weiter ausbauen". Das Wachstum des Rechtsextremismus sei "ein dramatischer Befund", sagte Kuhle.

Mehr als 41.000 Delikte politischer Fanatiker insgesamt

Die Polizei stellte 2019 insgesamt 41.177 Delikte rechter, linker, islamistischer und anderer politischer Fanatiker fest. Das ist ein Anstieg um mehr als 5000 Straftaten und laut Seehofer „das zweithöchste Niveau seit 2001“. Die Zahlen erfüllten ihn „mit großer Sorge“. Außerdem gab es bei linken Delikten ein Wachstum von mehr als 23 Prozent (2019: 9849, 2018: 7961). Zugenommen haben auch die Angriffe von Linken auf Rechte (plus 52,7 Prozent) und die von Rechten auf Linke (plus 25,8 Prozent).

Viele Angriffe auf Bürgermeister und Abgeordnete

Die Polizei registrierte zudem 1674 Straftaten gegen „Amtsträger und/oder Mandatsträger“, also vor allem gegen Kommunalpolitiker sowie Abgeordnete. In mehr als 600 Fällen waren Rechte die Täter, in 310 waren es Linke. Über 700 Fälle, darunter viel Hate Speech im Internet, waren keiner Szene zuzuordnen.

Rückläufig sind Straftaten von Islamisten und anderer religiöser Extremisten (minus 27,5 Prozent) und ausländischer Rechts- und Linksradikaler (minus 23,7).

Kriminalität insgesamt leicht rückläufig

Seehofer präsentierte auch die Zahlen zu Kriminalität in der Bundesrepublik insgesamt. Die Zahl der Straftaten sank um 2,1 Prozent auf 5,4 Millionen Fälle. Die Polizei konnte 56,2 Prozent aufklären. In Bayern war die Quote mit 65 Prozent am höchsten, Berlin meldete mit 43,8 Prozent die niedrigste.

Deutliche Zunahme bei Kinderpornografie

Zu den größten Problemen der Polizei zählt die rasante Zunahme der Verbreitung von Kinderpornografie, meist über das Internet. In der Statistik ist von einem Anstieg um 64,6 Prozent die Rede. Deutlich zugenommen haben auch Angriffe auf Polizisten (plus 27,5 Prozent). Wirtschaftskriminalität hingegen ging zurück (minus 19,9 Prozent), auch Wohnungsdiebstähle nahmen ab (minus 10,6 Prozent). Trotz aller Probleme betonte Seehofer, "Deutschland ist das sicherste Land auf der Welt".

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