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Nach der Wahl ist vor der Koalitionsdebatte. Auch eine große Koalition ist in Schleswig-Holstein denkbar. Foto: Jens Köhler/dapd

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Politik: Die Großen werden kleinlaut

Bald nur noch große Koalitionen oder Dreierbündnisse: SPD und CDU sind von der bunten Parteienlandschaft genervt.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Berlin - Nein, sagt Claudia Roth, der Wahltag in Schleswig-Holstein ist nicht der Moment, an dem das grüne Lieblingsbündnis zu Grabe getragen wird. „Ich bin voller Hoffnung, dass sich zeigt, dass es Rot-Grün noch gibt, dass Rot-Grün gehen kann“, sagt die Grünen-Chefin am Montag. Und nein, sie glaube nicht, dass ihre Partei sich künftig vor allem mit Dreierbündnissen werde auseinandersetzen müssen.

In Kiel jedoch stehen die Grünen am Tag nach der Wahl genau vor dieser Situation. SPD und Grüne können dort nur gemeinsam regieren, wenn sie einen dritten Partner ins Boot holen. Die Piraten gelten in Koalitionsfragen bis auf Weiteres noch nicht als hinreichend seefest. Die Küsten-Grünen setzen darum auf ein Bündnis mit dem Südschleswigschen Wählerbund SSW, trotz der dünnen Mehrheit von nur einer Stimme. In dieser Woche gibt es erste Sondierungsgespräche mit den Dänen-Vertretern.

Sollte aus diesem Bündnis aber nichts werden, „dann stehen alle Parteien ratlos da“, stellt Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck nüchtern fest. Für ihn ist absehbar, worauf es dann hinausläuft: auf eine große Koalition. Denn die FDP sei „der letzte Koalitionspartner“, den er sich vorstellen könne, sagt Habeck mit Blick auf Spekulationen über eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. „Da werden sich andere Bündnisse schneller finden.“ Die FDP stehe „in den allermeisten Politikfeldern diametral zu uns“, wehrt auch Roth ab – dabei fest die Wahl in Nordrhein- Westfalen nächsten Sonntag im Blick.

Auch die SPD will von einer Ampelkoalition mit den Liberalen nichts wissen. Andrea Nahles scheint genervt, als sie Gründe für die mangelnde Mobilisierung der SPD im Norden nennen soll. „Ich komm mir hier ein bisschen vor, als ob ich eine Wahlniederlage erklären müsste“, murrt die Generalsekretärin, als sie schon wieder mit der Frage konfrontiert wird, warum ihre Partei nicht mehr Stimmen holte. Die SPD habe doch fünf Prozentpunkte zugelegt und könne mit Grünen und SSW koalieren. „Unseren Wunschpartnern“, sagt Nahles, was aber für den SSW erst seit Sonntagabend gilt.

Tatsächlich kann es die Sozialdemokraten im Bund trotz der Aussicht auf einen weiteren Ministerpräsidenten nicht kaltlassen, dass sie im Norden trotz Wechselstimmung hinter der CDU zurückblieben und die Piraten strukturell die Mehrheitsfähigkeit von Rot-Grün gefährden. Zwar kartätscht Nahles die Frage nach einem Abrücken der SPD vom Ziel einer Zweierkoalition mit den Grünen 2013 im Bund als „völligen Unsinn“ nieder. Doch muss sie einräumen, dass die Mobilisierung der SPD-Wähler hinter ihren Erwartungen zurückblieb. Weil der Platz im Mitte-links-Spektrum mit Grünen und Piraten „begrenzt“ sei, werde sich die SPD im Vorfeld der Wahl 2013 „enorm Gedanken machen“, kündigt sie an.

Gar nicht einlassen will sich Nahles auf Gedankenspiele über eine Ampelkoalition nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen. Als „Kasperletheater“ tut sie solche Überlegungen ab und meint: „Wo, bitte, liegen die Schnittmengen? Ich kann sie nicht sehen.“ Ohnehin setzt die SPD angesichts ermutigender Umfragen darauf, dass es in NRW trotz der neuen Herausforderung durch die Piraten für Rot-Grün reicht und sich Debatten über große Koalitionen mit, gar unter Führung der CDU dann erst einmal erledigen. Als ob der Sieg schon feststehen würde, verkündet die Generalin: „Das ist für uns die Steilvorlage für das Wahljahr 2013, das mit der Wahl in Niedersachsen beginnt!“

Für die CDU wäre Steilvorlage definitiv das falsche Wort. Prinzipiell steht sie vor dem gleichen Dilemma wie die SPD. In Kiel hat sie es ganz knapp auf Platz eins geschafft, aber mangels Bündnispartnern nützt ihr das gar nichts. Dass Parteichefin Angela Merkel und ihr Spitzenkandidat Jost de Jager die SPD von der Dänen-Ampel abzubringen versuchen, weil es der doch an Stabilität fehlen werde, ist kaum mehr als Gesichtswahrung.

In einem allerdings ist sich Merkel mit den Spitzen von SPD und Grünen absolut einig: Man spricht nicht offen darüber, ob die Kieler Verhältnisse nach neuer Offenheit für neue Koalitionskombinationen verlangen. Unter der Hand fängt die Debatte trotzdem an. Die beiden Volksparteien könnten sich nicht selbst darauf verengen, dass außer großen Koalitionen nichts mehr gehe, sagt ein CDU-Vorstandsmitglied. Für die Kleineren gelte das erst recht: „Wenn ich Liberaler wäre, würde ich mich auch verbreitern.“

Bei den Liberalen sind sie freilich erst einmal heilfroh, dass sie selber wieder etwas Muskeln angesetzt haben. Die 8,2 Prozent sind mehr, als viele zu hoffen wagten, Philipp Rösler eingeschlossen. „Ich sehe die ganze FDP stabilisiert“, sagt der Parteivorsitzende, „auf jeden Fall“ aber auch die eigene Position. Gerüchte von einem Putsch, gestreut von „anonymen Personen“, seien „substanzlos“.

Nimmt man ihre Worte zum Nennwert, kann Rösler sich bei diesem Urteil auf fast die gesamte FDP-Führung berufen. Gesundheitsminister Daniel Bahr nennt Rösler sogar einen „erfolgreichen Vorsitzenden“. Bahr lässt freilich auch durchblicken, warum: Vor der NRWWahl sei „Mannschaftsspiel“ gefragt.

Nur einer verweigert sich dem Scheinfrieden. Wolfgang Kubicki ist nicht in Berlin. Der Spitzenkandidat, berichtet Landeschef Heiner Garg, schlafe nicht nur einen Rausch aus, „ er liegt im Koma“. Das kann passieren. Nur hat Kubicki einem Autor des „Zeit“-Magazins schon vor Tagen erzählt, dass genau das passieren werde. Kubickis Rausch ist keine Panne, sondern böse kalkulierte Geringschätzung. Die Blumen für den Sieg, hat er noch ausrichten lassen, könne Rösler ihm ja zuschicken.

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