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Goetsch

© dpa

Die Grünen: Ins Schwarze getroffen

Wie die Hamburger Grünen sich selbst überraschten und lustvoll Koalitionsgespräche mit der CDU beschlossen.

Es war ein bisschen wie im Vorzimmer des Zahnarztes. Viele der etwa 400 Hamburger Grünen, die sich am Donnerstagabend in der Hamburger Handwerkskammer versammelt hatten, waren auf das Schlimmste vorbereitet. Ein nervöses Flirren lag über der Versammlung der vielfach bereits ergrauten Parteimitglieder. Die Sondierungskommission, die am Vortag sieben Stunden mit der CDU-Führung zusammensaß, hatte bis zu diesem Abend geschwiegen. Was würde der Preis der Macht sein, den die Grün-Alternative Liste (GAL) für das erste schwarz-grüne Regierungsbündnis auf Landesebene zahlen müsste?

Als dann die Parteivorsitzende Anja Hajduk das Mikrofon übernahm, um über die Gespräche zu berichten, wurde es still. Es gebe nichts Schriftliches über das Sondierungsgespräch. Sieben Bereiche von Bildung bis Wirtschaftspolitik seien besprochen worden, 30 Einzelpunkte. Die kleine Frau mit der starken Stimme macht es spannend. Aber dann legte sie los. Es gebe eine „neue inhaltliche Basis“ in der Schulpolitik. „Alle Kinder sollen gemeinsam länger lernen“. Bis zur sechsten Klasse würde „nicht mehr selektiert“. „Rechnet man das verpflichtende Vorschuljahr dazu, kommen wir auf sieben Jahre gemeinsames Lernen.“ Donnernder Applaus. Die GAL war mit der Forderung „neun macht klug“ in den Wahlkampf gegangen. Die Aufteilung auf die verschiedenen Schulzweige solle so spät wie möglich erfolgen. Die GAL- Spitzenkandidatin Christa Goetsch, die Bildungssenatorin werden will, formulierte es an diesem Abend neu: „sieben macht klug“.

Aber Hajduk hatte noch mehr zu berichten: In Zukunft könnte es wieder einen Anspruch auf Kitabetreuung für Arbeitslose geben, einen Rechtsanspruch für Kinder ab zwei Jahren, das letzte Kitajahr soll kostenlos werden. Bei der von der GAL abgelehnten Elbvertiefung sei man sich zwar „nicht einig geworden“, aber die Sache komme noch einmal auf den „Prüfstand“. Jedenfalls habe die CDU in Aussicht gestellt, einen Ökofonds für die Elbe aufzulegen. „Pro Container Hafenumschlag“ solle es eine Abgabe für die Elbe geben. Beim umstrittenen Kohlekraftwerk-Neubau Moorburg könne „über Alternativen verhandelt werden“, berichtete sie. Es könne eine „gesundheitliche Versorgung und Anspruch auf Schule für illegale Flüchtlinge“ geben. „Es gibt gute Aussichten, dass die Studiengebühren abgeschafft werden.“ In den immer wieder aufbrandenden Beifall hinein sagte Hajduk: „Ich habe den Eindruck, die Sondierung hat sich gelohnt.“

Die CDU hatte, so der Eindruck, die Tür für Koalitionsverhandlungen nicht nur aufgemacht, sondern ausgehängt und weggeworfen. So viele Zugeständnisse hatten hier nicht einmal die glühenden Befürworter einer schwarz-grünen Koalition erwartet. Die gab es ja längst vor der Wahl. In zwei von sieben Bezirken der Hansestadt regierten vor dem 24. Februar bereits CDU und GAL zusammen. Viele der führenden GALier hatten durchblicken lassen, dass sie sich dies auch im Senat vorstellen können. Ein Viertel der Wähler hatte vorsorglich die Flucht ergriffen, im Vergleich zur Bundestagswahl 2005 sogar fast die Hälfte. Aber jetzt war nach dem Wählervotum Rot-Grün sowieso nicht machbar.

Mancher war darüber froh. Willfried Maier, Stadtentwicklungssenator im ersten rot-grünen Senat von 1997 bis 2001, ließ noch einmal die Demütigungen Revue passieren, die man damals erdulden musste: „Bei der Schulpolitik gab es nix, bei der Elbvertiefung war es damals sogar schlechter als heute, bei illegalen Flüchtlingen gab es ein Gezerre um jeden Einzelfall.“ Das, was die CDU jetzt anbiete, „sei ein derartiger Einschnitt“, die ganze Republik werde darüber reden.

Vier Fünftel der Anwesenden stimmten am Ende für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen. Erleichterung machte sich breit. Der Zahnarzt hatte gar nicht gebohrt. Fast ein wenig ungläubig ging man nach Hause.

Klaus Otto

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