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Politik: Die Herzen der Bürger gewinnen

Der neue britische Premier Brown will das Regierungssystem neu ordnen – und eigene Macht abgeben

Großbritanniens Premier Gordon Brown will mit weitreichenden Verfassungsreformen das Vertrauen der Briten in ihre Regierung und die Einigkeit im Kampf gegen den Terrorismus stärken. Die Maßnahmen reichen von der Beflaggung öffentlicher Gebäude mit dem Union Jack bis zur Bildung eines „nationalen Sicherheitsrates“. Dieser soll die parlamentarische Aufsicht über Polizei und Geheimdienste verbessern, aber auch den „Kampf um Herzen und Köpfe“ in die Strategie miteinbeziehen.

„Die langfristigen, andauernden Sicherheitsaufgaben fordern nicht nur die Koordination von Militär, Polizei, Geheimdiensten und diplomatischen Aktivitäten, sondern auch, dass wir in diesem Land und in der ganzen Welt die Herzen und die Gedanken gewinnen“, sagte Brown bei seinem ersten Auftritt im Unterhaus als Premier. Brown will dem Unterhaus in Zukunft jährlich einen Sicherheitsbericht vorlegen, der die Bedrohung beschreibt, die Sicherheitsstrategie festlegt und dann vom Parlament debattiert wird. Damit werde signalisiert, „dass wir jederzeit wachsam sein und uns der Bedrohung durch Terror nie beugen werden“. Das neue Gremium soll mehr Transparenz in die Beziehung zwischen Regierung und Geheimdiensten bringen. Browns Vorgänger Tony Blair wurde vorgeworfen, er habe durch umstrittene Dossiers die Geheimdienste für seine politische Zwecke eingespannt.

Schon vor Wochen machte Gordon Brown klar, dass er bei seinem Amtsantritt Verfassungsreformen anstoßen werde. Nun wird in den Medien diskutiert, ob er es auf eine echte Neuordnung des Regierungssystems abgesehen hat, oder ob es eher darum geht, Distanz zur Regierung seines Vorgängers Tony Blair herzustellen. „Das Vertrauen der Briten in die Regierung ist nicht wegen unserer Verfassungsstrukturen gestört, sondern weil die Regierung ihre Versprechen nicht gehalten hat“, sagte Oppositionsführer David Cameron im Unterhaus.

Britische Premiers haben im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr präsidiale Macht angehäuft und Machtbefugnisse, die ihnen vom Souverän, der Königin, übertragen werden, entschlossener genutzt. Nun will Brown teilweise auf diese sogenannten Königlichen Vorrechte verzichten und dem Parlament mehr Einfluss geben. Viele der Vorschläge stammen von den Konservativen und sind weitgehend unumstritten. Ein „Grünbuch“ nennt zwölf Bereiche, bei denen sich der Premier zurückziehen soll – von der Ernennung von Bischöfen oder Richtern bis zum alleinigen Recht, das Parlament einzuberufen oder aufzulösen. Viele Änderungen fixieren, was bereits Realität ist. Das Recht des Parlaments, über „Krieg und Frieden“ zu entscheiden, wurde quasi 2003 etabliert, als der Irakkrieg in einer historischen Parlamentsdebatte beschlossen wurde. Hätte das Parlament nicht zugestimmt, wäre Blair damals zurückgetreten.

Hinzu kommt jetzt Browns Vorschlag, eine nationale Debatte über einen Grundrechtekatalog anzustoßen, „damit wir uns über die Werte einigen, die unsere Bürgerschaft und unser Land definieren“. Brown will nicht nur Freiheitsrechte definieren – die in der britischen Verfassung abgesehen von der Magna Charta von 1215 und der „Bill of Rights“ von 1689 erst wieder durch die Übernahme der europäischen Menschenrechtsgesetze verankert sind. Er will auch Bürgerpflichten festlegen und dadurch die nationale Bindung erhöhen, auch mit Blick auf die Muslimbevölkerung. Brown brachte sogar den Gedanken an eine geschriebene Verfassung ins Spiel, die Liberale aller Parteien schon lange fordern. Doch Browns Demokratisierungsschub hat auch Grenzen: Über die Forderung der Konservativen, ein Referendum über die EU-Verfassung durchzuführen, lehnte er jede Diskussion kategorisch ab.

Matthias Thibaut

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