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Politik: Die Jagd nach Gerechtigkeit (Leitartikel)

Der alte Sumpf blubbert wieder. Einer ist schon in ihm versunken.

Der alte Sumpf blubbert wieder. Einer ist schon in ihm versunken. Aber der Rücktritt des niedersächsischen Ministerpräsidenten Glogowski ändert nur wenig an dem vielleicht ärgerlichsten Ergebnis der neuen Affären: dass der Argwohn wieder Auftrieb bekommen hat, Politiker und Parteien seien käuflich oder doch für trübe Zahlungen empfänglich - trotz einer Parteispenden-Affäre, die die Republik erschütterte, und einer ganzen Naht von Skandalen. Nichts dazu gelernt? Nun läuft also wieder die alte Prozedur: Verdächtigungen, Dementis, Untersuchungsausschüsse. Man muss leider sagen: hochverdient - denn was über das System von Anderkonten, Aufzeichnungen und millionengedüngten Männerfreundschaften bei der CDU bislang ans Licht gekommen ist, muss alle Zweifel an einem auch nur hinlänglich sauberen Umgang mit Spenden und Spendern mobilisieren. Und was Glogowski angeht, so zeichnete sich schon seit Tagen eine Fall-Linie ab, bei der es verwundert hätte, wenn sie nicht in absehbarer Zeit mit einem Rücktritt geendet hätte. Bleibt da etwas anderes übrig als das Stossgebet: Gerechtigkeit, nimm deinen Lauf?

Ja, aber dann liegt auch noch ein penetranter Jagdgeruch in der Luft, und die nicht sehr erfreuliche Vermutung, dass der Umgang mit Erkenntnissen und Verdächten von den parteipolitischen Strategen einkalkuliert wird. Es gibt bei Affären und Skandalen fatale Mechanismen, die dazu führen, dass die Verfolgungs-Instinkte sich verselbständigen. Zu fragen ist also, ob die Vorwürfe gegen Glogowski wirklich so schwer gewogen haben, dass der Rücktritt gerechtfertigt war? Es liegt auch auf der Hand, dass der gebeutelten rot-grünen Koalition angesichts der bevorstehenden Wahlen nichts Besseres passieren konnte als die CDU-Spendenaffäre. Kann man sicher sein, dass die SPD bei der notwendigen Untersuchung nicht mit mindestens einem Auge auf Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen blickt? Und ist Glogowski wegen der Schwere seiner Verfehlungen zurückgetreten? Oder auch, um der Koalition das Schussfeld freizumachen auf eine CDU, die tief im Morast einer Spendenaffäre zappelt?

Die Union hätte sich, selbstverständlich, nicht zu beklagen, wenn die notwendige gründliche Untersuchung sie Sympathien und Zustimmung kosten würde. Aber es kann nicht im Interesse der Sache sein - und die heißt: Aufklärung und nachfolgende Ahndung, wenn möglich: dauernde Vorbeugung -, wenn dieser Nebeneffekt zu der politischen Hauptsache mutierte, die CDU von ihrem hohen Stimmungsross herunterzuholen. Es wäre auch ein Offenbarungseid unseres Politik- und Medien-Betriebes, wenn der niedersächsische Ministerpräsident das Handtuch geworfen hätte, weil er es müde war, gejagt zu werden, oder weil er überzeugt davon wäre - oder zu der Überzeugung gebracht worden wäre -, damit seiner Partei zu nützen.

Herbert Wehner, der gewiss eine Kämpfernatur war, hat immer wieder davor gewarnt, in den politischen Auseinandersetzungen eine Praxis einreißen zu lassen, die er den militärtechnischen Einsatz politischer Mittel nannte; er sah in der Instrumentalisierung des politischen Streits für das Niederwerfen des politischen Gegners eine Sünde gegen den Geist demokratischer Politik. Für den Umgang mit Affären und Skandalen kann das nur heißen: feststellen, was ist, überprüfen, was sein darf, abwägen zwischen Zweck und Mitteln. Alles andere führt zu einer Verwilderung der politischen Sitten, für die - irgendwann einmal - alle bezahlen müssen, Politik und Öffentlichkeit.

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