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Daumen drauf. Das Handy ist Merkels wichtigstes Herrschaftsinstrument.

© dpa

Die Kanzlerin im NSA-Skandal: Merkel und ihr Krypto-Handy

Angela Merkel und ihr Mobiltelefon, das ist eine ganz eigene Geschichte. Immer sieht man die Kanzlerin mit dem kleinen Ding in der Hand. Es ist praktisch, nur sicher ist es nicht.

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Hans-Christian Ströbele schlendert wie zufällig auf die aufgestellten Mikrofone zu. „Tja“, sagt der Grüne, „so schnell seh’n wir uns wieder.“ In der Tat, die Szenerie im Tiefgeschoss des Jakob-Kaiser-Hauses ist wohlbekannt. Ströbele wird gleich hinter den Türen jenes abhörsicheren Raumes verschwinden, den es offiziell gar nicht gibt, und sich vom Kanzleramtsminister Ronald Pofalla über den neuesten Stand der NSA-Abhöraffäre informieren lassen.

Zuletzt hat sich das parlamentarische Kontrollgremium hier im sommerlichen Vorwahlkampf getroffen, zum gleichen Thema. Nur dass diesmal der Anlass derart ist, dass selbst der affärenerfahrene Ströbele nicht spotten mag: Nein, das sei jetzt keine Zeit für Schadenfreude. Angela Merkels Handy ist vermutlich abgehört worden. Das Handy der Kanzlerin. Womöglich jahrelang. Vom amerikanischen Freund. Wenn man dafür Worte finden sollte, wäre „Staatsaffäre“ zu klein.

Die unglaubliche Geschichte beginnt offenbar wieder dort, wo die NSA-Affäre insgesamt ihren Anfang nahm – in den umfangreichen Unterlagen des Ex-NSA-Technikers Edward Snowden. Jedenfalls taucht in einer der riesigen Datenbanken des US-Geheimdienstes eine Telefonnummer auf. Jemandem, der die Zahlenfolge sieht, kommt sie bekannt vor. Angela Merkels Handynummer steht nicht im öffentlichen Telefonbuch; aber sie ist auch nicht so geheim, dass nicht ein paar hundert Menschen im In- und Ausland sie wüssten: Politiker, wichtige Beamte, Parteifreunde und auch die Spitzen der politischen Konkurrenz kennen den direkten Draht zur Kanzlerin.

Dafür sorgt sie ja schon selbst. Merkel und ihr Handy – das ist eine ganz eigene Geschichte. Unter der Bank im Bundestag, bei langweiligen Pflichtterminen, immer sieht man die Kanzlerin mit dem kleinen Ding in der Hand, eifrig tippend. Wer eine SMS mit dem Kürzel „am“ bekommt, ist erstens im Bilde und zweitens wichtig. Das Gerät ist ihr zentrales Herrschaftsinstrument. Das macht den Abhör-Verdacht doppelt ungeheuerlich – darin steckt ein direkter Angriff auf ihre Macht. Helmut Kohl hat die CDU mit seinem legendären Telefonbuch gelenkt. Merkel trägt ihr Telefonbuch in der Tasche. Das Prinzip bleibt das gleiche.

Bis zu diesem Sommer war auch das Gerät übrigens immer das gleiche, ein etwas veraltetes Nokia, das aber den Komfort normaler Buchstabentasten mit einer langer Batterielaufzeit vereinte. Sie hätte ein Smartphone haben können. Aber eine Kanzlerin muss nicht ständig Mails checken oder bei Wikipedia nachschlagen, wie noch gleich der Ministerpräsident von Estland heißt. Für die SMS sind die Tasten praktisch, und Merkel ist ein praktischer Mensch.

Nur abhörsicher ist das Gerät nicht. Theoretisch verfügt jedes Regierungsmitglied über ein Krypto-Handy, das selbst die NSA mit all ihren Riesencomputern nicht leicht knacken könnte. Aber die Dinger sind derart umständlich und unhandlich, dass praktisch keiner sie nutzt.

Der Hinweis auf Merkels Nummer also landete beim „Spiegel“. Das Magazin gab den noch recht vagen Hinweis, verbunden mit einer Reihe von Fragen, Ende letzter Woche ans Kanzleramt weiter. Dessen Chef Ronald Pofalla schaltete den Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein. Die Geheimen und die Techniker, die auch Merkels treues Handy aufschraubten, kamen zum gleichen Schluss: Letztlich beweisen lässt sich der Abhörangriff nicht – aber die Indizien sind derart stark, dass der Verdacht begründet ist.

Seither krachen über den Atlantik hinweg diplomatische Kanonenschüsse. Merkel war so sauer, dass sie Barack Obama persönlich anrief. Der US-Präsident war im Sommer als Gast in Berlin. Schon damals stand vage der Verdacht im Raum, dass sein Geheimdienst neben Botschaften und Büros der EU in Brüssel auch die Bundesregierung angezapft haben könnte. Der mächtigste Mann der Welt wischte die Frage mit leichter Hand weg: „Wenn ich wissen will, was Kanzlerin Merkel denkt, dann rufe ich Kanzlerin Merkel an.“

„Die NSA-Affäre ist nicht beendet“, sagt Oppermann

Immerhin weiß er jetzt, was Merkel davon denkt. „Man fühlt sich ja verdeppert!“, schimpft einer aus ihrem Umkreis. Noch in der Sprachregelung des Regierungssprechers klingt die Empörung durch: „ein gravierender Vertrauensbruch“. Am Donnerstagnachmittag bestellt Noch-Außenminister Guido Westerwelle den frisch bestallten amerikanischen Botschafter John B. Emerson ins Auswärtige Amt ein. Derart gedemütigt werden für gewöhnlich Vertreter diktatorischer Verbrecherstaaten. Die Bundesanwaltschaft bereitet sich auf ein Ermittlungsverfahren vor. Merkel trifft sich beim EU-Gipfel mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande – auch er Abhöropfer. Ihr Urteil vor den Mikrofonen der Reporter ist knapp: „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht.“

Vor die Mikrofone muss auch ein anderer, in Berlin im Tiefgeschoss. Ronald Pofalla hat hier vor wenigen Wochen die NSA-Spähaffäre für „beendet“ erklärt. Genau genommen hat er damit nur einen ganz speziellen Verdacht gemeint, der sich in der Tat als falsch erwiesen hatte: Eine angebliche milliardenfache Totalüberwachung des deutschen Mail- und Telefonverkehrs stellte sich als Datensätze aus der deutschen Auslandsaufklärung heraus, die der Bundesnachrichtendienst den Amerikanern kollegial herüberschiebt. Aber so genau wollten die wenigsten zuhören. Außerdem hat Pofalla, besonders wenn er forsch auftritt, kein rechtes Talent zum Sympathieträger.

Doch vor dem Kanzleramtschef hat erst mal der Vorsitzende des Kontrollgremiums das Wort. Thomas Oppermann ist von Pofalla am Mittwochnachmittag ins Bild gesetzt worden. Das war nicht schwer, weil sich die beiden im Moment häufiger sehen. Pofalla koordiniert für die Kanzlerin die Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Oppermann ist Mitglied der SPD-Verhandlungskommission; formell als Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion, informell als Anwärter auf ein Ministeramt, speziell dasjenige des Inneren.

Im Wahlkampf war Oppermann der tägliche NSA-Ankläger der SPD. Jetzt ist er der Mann, der recht behalten hat. „Die NSA-Affäre ist nicht beendet“, sagt Oppermann. „Wer die Mobiltelefonate der Kanzlerin abhört, der hört auch den geschäftlichen und privaten Verkehr der Bürger ab.“ Und wer wie die NSA der Bundesregierung versichert habe, dass sich ihre gesamte Tätigkeit nicht gegen „die Interessen der Bundesrepublik“ richtete – ja, was solle man dem denn jetzt noch glauben?

Also hat Pofalla versagt? Oppermann schaut den Fragesteller undurchdringlich an. „Offenbar sind wir auch getäuscht worden von der amerikanischen Seite“, sagt er. „Und wenn Herr Pofalla auch zu der Erkenntnis kommt, dann sind wir einen großen Schritt weiter.“ Man ist halt doch nicht mehr Opposition.

Andere müssen keine Rücksicht nehmen. Hartfried Wolff etwa, der mitsamt seiner FDP aus dem Bundestag geflogen ist, aber heute noch mal dabei, weil das alte Kontrollgremium bis zur Wahl des Neuen amtiert. „Blauäugig“ sei Pofalla damals gewesen, sagt der Liberale. Noch härter urteilt der Grüne Ströbele. „An der Nase herumgeführt“ habe der Kanzleramtschef das Parlament: „Der müsste sich wenigstens mal entschuldigen!“

Pofalla denkt gar nicht daran, im Gegenteil. Immerhin verspricht er aber, dass man alle Zusagen der NSA noch mal genau überprüfen werde. Dafür gibt es leider Anlass von höchster Stelle. Nach Merkels Anruf bei Obama hat dessen Sprecher seinen Chef mit den Worten zitiert, dass die USA die Kanzlerin „nicht überwachen und nicht überwachen werden“. Jay Carney las vom Blatt. Es war also kein Versehen, dass die Vergangenheitsform fehlte: nicht überwacht hat. Eine deutsche Regierungsdelegation soll demnächst in Washington dieser Vergangenheit nachspüren. Ströbele hätte da schon eine Frage, die die Abgesandten stellen sollten: „Was für Terroristen hat man versucht zu orten im Handy der Kanzlerin?“

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