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Die Kanzlerin mauert vor dem Untersuchungsausschuss: Merkel rechtfertigt Atommüll-Lager Gorleben

Gorleben sollte es sein, so stand es fest. Radioaktiver Müll im Salzstock versenkt, so wollte es 1995 auch die Umweltministerin – Angela Merkel, die heute sagt: „Da war ich noch nicht so perfekt.“ Damals, als die Welt noch geteilt war in Atomkraft-Gegner und ihre Befürworter.

Sie hat gute Laune. Im schwarzen Anzug schlendert sie zu ihrem Stuhl in der Mitte einer riesigen Tischsichel. Gleich werden Fragen auf sie einprasseln, aber es geht für sie eigentlich um nichts, die erste pariert sie gelassen. Es ist die nach ihrer Person: „Meine Adresse stimmt noch“, sagt Angela Merkel. Und Ute Vogt ihr gegenüber weiß vermutlich in diesem Augenblick, was sie vorher schon ahnte, dass sie die Kanzlerin wohl kaum in die Enge würde treiben können. „Es ist nicht so, dass man erwarten kann, dass sie danach zurücktreten wird“, hatte die SPD-Obfrau vor der Vernehmung von Angela Merkel im Gorleben-Untersuchungsausschuss eingestanden.

Die Kanzlerin ist nicht als Kanzlerin vor den Abgeordneten erschienen. Sondern als ehemalige Umweltministerin im Kabinett Kohl. Als solche war sie auch einmal zuständig für die Endlagersuche. Und nun möchten die Mitglieder des Ausschusses Antworten von ihr. Antworten auf sehr lange und komplizierte Fragen, auf Geschehnisse und Handlungen von vor 17 Jahren, aus einer Zeit über die Angela Merkel im Ausschuss selbst sagt: „Damals war ich noch nicht so perfekt wie heute.“

Etwas sehr Wesentliches will der Ausschuss an diesem Donnerstagmorgen klären. Im Grunde versucht er es nun seit zweieinhalb Jahren und insgesamt 88 Sitzungen, der Wahrheit näher zu kommen, eine Antwort zu finden auf die Frage: Gab es bei der Festlegung auf Gorleben als Endlagerstandort für hochradioaktiven Müll politische Beeinflussungen? Hat Merkel mit Gorleben einfach die günstigste Lösung gewählt. Günstig vor allem für die Energieversorger.

Bildergalerie: Die Anti-Atomkraft-Bewegung von damals bis heute

Es sind unangenehme Fragen, die Angela Merkel sich gefallen lassen muss. Im Mittelpunkt steht eine Studie des Bundesamts für Geologie und Rohstoffe (BGR) von 1995, in der es zwar gar nicht um Gorleben ging, sondern um die Eignung 40 anderer, alternativer Endlager-Standorte, zu der Merkel aber trotzdem sagte: Gorleben bleibe „erste Wahl“. Die SPD und die Linke werfen Merkel deshalb vor, gelogen zu haben. Und sehen dahinter System.

Die Vernehmung am Donnerstag wird vor allem eines zeigen: Was Regierende sich denken, und was bei den Regierten ankommt, ist nicht dasselbe. Wie schwer es doch ist, sich auf eine Deutung zu verständigen, wenn nicht nur die Einstellungen verschieden sind, sondern auch die politischen Umstände sich grundlegend gewandelt haben. Denn das, worum es geht, liegt nicht nur lange zurück, es ist durch Merkels Energiewende überholt worden. Zehn mal wird ihr dieselbe Frage gestellt, aber es ist wie mit Merkels Adresse. Sie sagt: „Es ist doch ein Zeichen für Konsistenz, wenn Sie die gleichen Fragen stellen, dass ich dann die gleichen Antworten gebe.“

Zur Erinnerung: Im Wahlkampf 2009 hatte Sigmar Gabriel, damals seit vier Jahren SPD-Umweltminister der großen Koalition, ein Dokument veröffentlicht, nach dem die Kohlregierung 1983 starken politischen Druck auf die Standortsuche eines Endlagers ausgeübt haben sollte. Es war um die Frage gegangen, ob nach der oberirdischen Erkundung seit den späten 70er Jahren mit einer unterirdischen Erkundung des Salzstocks im Wendland begonnen werden sollte. Grundlage für die dafür notwendige Kabinettsentscheidung der Regierung von Helmut Kohl war ein Gutachten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Über dieses Gutachten hatten das Kanzleramt, das Innenministerium und das Umweltministerium mit den Verantwortlichen der PTB diskutiert. Die Politiker baten die Wissenschaftler, den Hinweis, dass dazu geraten werde, auch alternative Standorte zu erkunden, aus der Schlussfassung des Papiers zu streichen.

Das umstrittene Gutachten kam zu dem Schluss: Vier mögliche Standorte sind untersuchungswürdig.

Es war das zweite Mal, dass Politiker sich massiv über wissenschaftliche Empfehlungen hinwegsetzten. So ging es im Ausschuss auch um das Jahr 1977, als Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht etwas überraschend entschied, dass es Gorleben werde oder in seinem Land kein Ort. In Merkels Zuständigkeit fiel Mitte der 90er, dass das Erkundungskonzept deutlich verändert worden war. Anstatt den gesamten Salzstock zu untersuchen, sollte nur noch der nordöstliche Teil erkundet werden. Denn auf dieses Gebiet hatte das Bundesumweltministerium Zugriff. Der Südwest-Teil gehörte vor allem dem niedersächsischen Grundbesitzer Andreas Graf von Bernstorff und der evangelischen Kirchengemeinde. Beide verfügen über Salzrechte, die es nur in Niedersachsen gibt, und waren nicht bereit, diese Rechte zu verkaufen.

Merkel sagte dazu gleich am Anfang, dass ihre Fachleute ihr im Juli 1995 in einer Vorlage mitgeteilt hätten, dass „der Betrieb eines Endlagers nur im Bereich der bereits erworbenen Salzrechte eindeutig nicht sinnvoll ist“. Doch habe man angenommen, dass der Nordosten des Salzstocks für den zu erwartenden Atommüll reichen werde.

Merkels Vorgänger Klaus Töpfer hatte schon eine Salzstudie in Auftrag gegeben, in der anhand der vorhandenen Literatur über die Geologie Deutschlands wurden 41 Standorte auf ihre theoretische Eignung als Endlagerstandort abgeklopft wurden. Vier hielt die BGR für untersuchungswürdig. Merkel legte sich aber bereits vor deren Veröffentlichung in einem Interview mit dem Radiosender SWF 3 darauf fest: „Das wichtigste aus diesem Gutachten ist deshalb, Gorleben weiter zu erkunden.“

Dass es um Gorleben gar nicht ging, hatte auch die BGR mehrfach öffentlich gesagt.

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Für Ute Vogt und Dorothee Menzner (Linke) ist das der Beweis dafür, dass Merkel gelogen hat. Die weist das zurück und gibt einen Einblick ins Jahr 1995. Im Juni war der zweite Versuch gescheitert, mit den Ländern, vor allem den damaligen Ministerpräsidenten Niedersachsens, Gerhard Schröder, und des Saarlands, Oskar Lafontaine, zu einem Energiekonsens zu kommen. Der Kohlepfennig war gerade als verfassungswidrig eingestuft worden, die SPD-Länder wollten aber eine weitere Steinkohlesubventionierung. Und der Entsorgungskonsens aus dem Jahr 1979, als bereits unter der Regierung von Helmut Schmidt Gorleben als Standort beschlossen worden war, sei „Stück für Stück zerbrochen“, erzählt Merkel.

Sie nippt an einem Wasserglas. Mehr wird sie in der fünfstündigen Vernehmung nicht zu sich nehmen. Sie fährt fort, die Landesregierung Schröder habe alle Fortschritte in Gorleben mit einem „ausstiegsorientierten Verwaltungsvollzug“ erschwert. Mit anderen Worten: Es ging nicht mehr viel in Gorleben. „Jeder Vorgang landete vor Gericht“, berichtet Merkel. Gleichzeitig brauchte die Regierung aber Fortschritte in der Entsorgungsfrage, weil davon die Betriebsgenehmigungen der Atomkraftwerke abhingen. Ohne Entsorgungsnachweis wäre sie automatisch erloschen, die Atomkraftwerke hätten stillgelegt werden müssen.

Solche Fortschritte zu liefern, „das war Ihre Aufgabe“, hält Sylvia Kotting-Uhl von den Grünen Merkel im Ausschuss vor.

Merkel dreht die Argumentation um.

Und dann stand auch noch der erste Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben an. Die Tatsache, dass es eine Studie über mögliche andere Standorte gab, sei so verstanden worden, „als würde morgen der Bohrer angesetzt“, sagt Merkel. Sie habe gewusst, dass Gorleben in der BGR-Studie gar nicht vorkam. Aber von ihr sei angesichts der öffentlichen Aufregung „auch eine politische Bewertung der Erkundung in Gorleben erwartet worden“. Ihr habe auch keine Information vorgelegen, dass Gorleben als Endlagerstandort nicht geeignet gewesen sei. Erst wenn das festgestellt sei, „kommt vielleicht die große Stunde dieser Studie“.

So weit, so plausibel. Nur im Wendland kam etwas ganz anderes rüber: Gorleben ist längst entschieden. Das war Merkel aber 1995 in etwa so egal wie die Forderungen der Energiekonzerne, das ganze möglichst billig zu machen. So schildert sie das im Ausschuss zumindest.

Die Opposition wiederum schert sich wenig um die historischen Umstände. Und auch CDU-Obmann Reinhard Grindel, hat eine andere Strategie für seine Kanzlerin vorgesehen. In zwei Fragerunden lässt er Merkel auflaufen und beharrt darauf, ihre damaligen Äußerungen seien als Reaktion auf den Druck der SPD zu verstehen. Sie kontert, dass sie zwar vor „14 Jahren aus dem Amt geschieden“ sei und sich an viele Details nicht mehr erinnern könne. Doch: „Weitere visionäre Gedanken möchte ich mir nicht zuschreiben“, beschied sie Grindel.

Im Gorlebenuntersuchungsausschuss werden die Schlachten der Vergangenheit geschlagen, und so ist auch oft der Ton. Vor fast genau zwei Jahren haben die 15 Mitglieder des Untersuchungsausschusses das umstrittene Salzbergwerk selbst besucht. Grindel schubste damals seine Parteifreundin Maria Flachsbarth regelrecht vor sich her und fragte ungeduldig: „Willst Du zuerst?“ Flachsbarth sagte damals genervt: „Als Ausschussvorsitzende wäre das wohl angemessen.“

Später vor 300 empörten Wendländern stellte Grindel fest: „Ich bin der einzige Mann. Das ist ja offensichtlich.“ Grindel genoss die Rolle des Buhmanns. „Eigentlich hatte ich es mir schlimmer vorgestellt“, sagte er am Ende des Abends. Aber nun am Ende der langen Suche nach politischem Missbrauch ändert sich der Ton der Kontrahenten, leistet sich Grindel doch so etwas wie Nachdenklichkeit, als er feststellt: „Als ergebnisoffen wird eine Suche nur dann akzeptiert, wenn es auch Alternativen gibt.“ Das müsse er zur Kenntnis nehmen.

Auch Ute Vogt und Sylvia Kotting mussten etwas zur Kenntnis nehmen, nämlich, dass bei dem vor einem knappen Jahr angekündigten Neustart bei der Endlagersuche Gorleben zunächst mit in der Betrachtung bleiben muss. Vogt sagt widerstrebend, es gehe um die „Akzeptanz des Verfahrens“. Kotting-Uhl sagt durchaus mit Überzeugung: „Es ist viel sicherer, wenn Gorleben im Verlauf des Verfahrens aus fachlichen Gründen ausscheidet.“ Im Übrigen argumentiert sie schon länger, dass die Entscheidung Gorleben gleich von der Liste zu streichen, eine ebenso politische Entscheidung wäre, wie die Auswahl des Standortes vor 35 Jahren.

Jetzt liegt es an Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU), ob nach den Schlachten der Vergangenheit tatsächlich ein Neuanfang möglich wird.

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