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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will erst im nächsten Jahr verkünden, ob sie erneut als Kanzlerin kandidieren will.

© dpa

Die Kanzlerin und Europa: Merkel soll das Ganze zusammenhalten

Dass Angela Merkel womöglich nicht mehr für das Amt als Bundeskanzlerin antreten könnte, löst im Rest Europas Erstaunen aus. Dort werden weiterhin große Erwartungen in sie gesetzt. Ein Kommentar.

Angela Merkel kann nicht sagen, ob sie noch einmal für die Union als Kandidatin für das Amt des Bundeskanzlers antritt – Horst Seehofer will erst im Frühjahr 2017 entscheiden, ob er die Amtsinhaberin dabei unterstützt. Was in Deutschland viele Beobachter als eine etwas trotzige, aber beim CSU-Vorsitzenden erwartbare, quasi in den bayerischen Genen liegende Attitüde abhaken, löst im Rest Europas Erstaunen aus.

Merkel nicht mehr Kanzlerin? Wer denn dann? Sieht man einmal von Viktor Orban in Ungarn und Polens geheimem Herrscher Jaroslaw Kaczynski ab, die beide Merkel lieber heute als morgen abserviert sähen, wächst in den übrigen Ländern der Europäischen Union die Hoffnung, die deutsche Regierungschefin möge in ihrem Bemühen nicht nachlassen, die krisengeschüttelte Staatenunion beieinanderzuhalten. Es ist eine ganz andere Merkel, in die auch dort so viele Erwartungen gesetzt werden, wo man die eiserne Kanzlerin noch vor wenigen Jahren für die Totengräberin der europäischen Solidarität hielt. Sie ist die Einzige, der man nach dem Brexit-Beschluss der britischen Wähler zutraut, das Europa der 27 zusammenzuhalten.

Auf einmal bietet sie sich Europa in einer dienenden und nicht in einer dominierenden Rolle an. Sie bereist die ost- und mitteleuropäischen Metropolen, trifft sich mit den Regierungs- und Staatschefs von mehr als einem Dutzend Mitgliedsstaaten und zeigt dort eine Qualität, die deutschen Beobachtern bekannt und daher wenig überraschend ist: Die Bundeskanzlerin hört zu. Sie registriert Stimmungen und Erwartungen, hat Fragen und nicht nur Antworten.

Für Europas Konflikte gibt es keine Patentlösungen

Was in Deutschland an ihr manchmal so nervtötend ist, dieses Führen von hinten, dieses Abwarten, woher der Wind weht, ist nun gerade das Führungsmittel der Wahl: Weder in der Flüchtlingskrise noch im für die Osteuropäer so bedrohlichen Ukrainekonflikt gibt es Patentlösungen. Die EU-Außengrenzen sichern? Ja doch, aber wie, wenn auch die nationalen Empfindlichkeiten der Griechen und Italiener zu berücksichtigen sind, denen man ja schlecht eine multi-nationale Frontex-Truppe mit Exekutivfunktionen an die Küsten setzen kann. Einen besseren Flüchtlingsdeal mit der Türkei, am besten einen Ausweg, ohne Recep Tayyip Erdogan um etwas bitten zu müssen? Gerne – hat jemand einen guten Vorschlag?

Auch wenn Angela Merkel nicht Dirigentin eines europäischen Chores sein will, muss sie doch Einigkeit über die Noten herstellen, nach denen gesungen wird. Aber mit wem darüber reden, wen letzten Endes entscheiden lassen? Der deutsche Außenminister ist dabei, das Weimarer Dreieck mit Polen und Frankreich wieder mit Leben und Kraft zu erfüllen, um dem zerstrittenen Europa ein Führungstrio zu präsentieren. Die Kanzlerin setzt nach dem Auszug Großbritanniens auf eine andere Dreisamkeit, die von Italien, Frankreich und Deutschland. Beides miteinander verbinden hieße, die EU wieder unter die Führung eines Quartetts der Großen zu stellen, von denen einer, Polen, derzeit zwar gerne den Glanz genießen, aber nicht die Lasten tragen wollte. Das wird nicht funktionieren, auch, weil die kleinen und mittleren Staaten solche Majorisierung nicht ertrügen.

Fest steht, dass die Antworten auf die Herausforderungen einer immer komplexer werdenden Welt keine einfachen Lösungen sein können. Genau der Komplexität sind die Menschen aber überdrüssig. Lieber ziehen sie sich zurück ins Überschaubare. Die Sehnsucht nach Kleinteiligkeit wächst. Populistische Bewegungen von AfD über Front National, die polnische PIS und die britische BrexitBewegung machen sich das zunutze. Sie pervertieren den verständlichen Wunsch der Menschen nach Geborgenheit in hohle politische Ansagen. Die seriöse Politik in Europa muss allerdings eine Antwort darauf finden, wie man Ordnung in eine unordentliche Welt bekommt, ohne die Freiheit zu opfern. Was für eine Herausforderung – auch, nein gerade an Angela Merkel.

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