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Demonstration der Stärke: Ein Raketentransporter geschmückt mit dem Konterfei des geistlichen Oberhaupts Ayatollah Chamenei bei einer Militärparade. Foto: Reuters

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Politik: Die Kernfragen

Ist das Abkommen mit dem Iran vor dem Aus? Die Mullahs streben weiter nach der Atombombe. Deutschlands Koalitionsparteien streiten deshalb um den richtigen Umgang mit dem Regime.

Berlin - Um den Abschluss des Nuklearabkommens mit Iran zu würdigen, wählte Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Juli 2015 große Worte: Es handele sich um nicht weniger als einen „historischen Erfolg der Diplomatie“, sagte der Außenminister damals. „Wir haben nun die Gewissheit, dass der Iran alle in Wien getroffenen Vereinbarungen eingehalten und in vollem Umfang umgesetzt hat.“

Heute, zwölf Monate später, ist die Gewissheit über die iranische Vertragstreue verflogen – was nicht zuletzt an Geheimdiensterkenntnissen aus Deutschland liegt. Die iranischen Beschaffungsaktivitäten für sein illegales Nuklearprogramm hielten sich weiterhin auf „hohem quantitativen Niveau“, warnte das Bundesamt für den Verfassungsschutz unlängst in seinem Jahresbericht. Die Behörde betonte zudem, dass Teheran auch weiterhin versuche, an Technik für den Bau von Raketen heranzukommen. Im Bereich des iranischen Trägertechnologieprogramms, das dem Einsatz von Kernwaffen dienen könne, sei eine „steigende Tendenz der ohnehin schon erheblichen Beschaffungsbemühungen“ zu konstatieren.

In der CDU mehren sich daher die Stimmen, die ein entschiedenes Vorgehen einfordern. „Europa befindet sich in Reichweite der Raketen und hat deshalb ein vitales sicherheitspolitisches Interesse an einer voranschreitenden Verständigung mit dem Iran in Rüstungsfragen“, sagte etwa CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter dem Tagesspiegel. Deutschland und die EU müssten im Rahmen der Implementierungsphase des Abkommens auf die strikte Einhaltung der Vorgaben drängen und im Falle „kontraproduktiver Aktivitäten“ neue Sanktionen glaubhaft androhen.

Ähnlich äußerte sich auch der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jürgen Hardt. Vertrauen in die Ehrbarkeit der iranischen Motive entstehe nicht allein durch die Unterschrift unter dem Atomvertrag, sagte er. „Sollten die Ermittlungen des Verfassungsschutzes tatsächlich strafbare Handlungen ergeben, die auf den iranischen Staat zurückzuführen sind, kann dies nicht ohne Konsequenzen bleiben, bis hin zu einer Wiedereinsetzung von Sanktionen“, sagte Hardt.

Anders sieht man die Dinge beim Koalitionspartner SPD. „Der Iran ist und bleibt ein entscheidender Akteur im Mittleren Osten – auch wenn das Land kein einfacher Partner ist“, sagte der außenpolitische Sprecher, Niels Annen. „Um das gegenseitige Misstrauen, das sich über Jahrzehnte entwickelt hat, zu überwinden, benötigen wir viel Zeit. Daran sollten wir arbeiten und jetzt nicht über mögliche neue Sanktionen spekulieren.“

In der Union wird die beschwichtigende Haltung der Sozialdemokraten skeptisch gesehen. „Als Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Tag nach Vertragsabschluss nach Teheran gereist ist und dort kein Wort über die Menschenrechtsverletzungen im Land verloren hat, hat mich das geschmerzt“, sagte Martin Patzelt, Mitglied im Bundestagsausschuss für Menschenrechte. „Trotz aller wirtschaftlichen Interessen dürfen wir nicht vergessen, dass es auch darum geht, unsere Werte zu verteidigen – denn auch sie sind Grundlage für unseren Wohlstand.“ Im Umgang mit dem Regime rät der CDU-Politiker daher zur Vorsicht. „Das Säbelrasseln der Iraner zeigt doch, dass wir ihnen die Zugeständnisse lediglich abgerungen haben. Wir müssen daher bei jedem Hinweis auf Vertragsbruch alarmiert sein – denn das iranische Regime hat sich mit seiner Vertragsunterschrift sicherlich nicht geläutert oder gewandelt.“

Doch nicht nur in Deutschland, auch im Iran selbst wird das Abkommen mittlerweile offen infrage gestellt. Erst vor wenigen Tagen drohte Parlamentspräsident Ali Laridschani mit einem Ausstieg aus dem Ausstieg. Leider gebe es nach wie vor Hindernisse bei der Umsetzung der Vereinbarung. Man sei an einem Punkt angelangt, „wo auch wir etwas unternehmen müssen“. Er machte keinen Hehl daraus, was damit gemeint sein könnte. Laridschani sprach sich unverblümt dafür aus, einen Plan für eine neue Anlage zur Urananreicherung auszuarbeiten. Ähnlich scharf äußerte sich der Vizepräsident des Landes. Ali Akbar Salehi warf den USA vor, die Übereinkunft nicht einzuhalten. Er betonte, der Iran könne binnen weniger Monate sein Atomprogramm wieder auf das Niveau vor Abschluss des Abkommens hochfahren – und darüber hinaus. Der mächtigste Mann der „Islamischen Republik“ sparte ebenfalls nicht mit Kritik. Insbesondere von Amerika gebe es nur leere Versprechungen und Feindseligkeiten, sagte Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei. Bei so viel lautstarkem Protest konnten sich Befürworter der vor einem Jahr erzielten Einigung wie Außenminister Dschawad Sarif kaum Gehör verschaffen.

Dass im Iran der Widerstand gegen das Nuklearabkommen wächst, kommt nicht von ungefähr. Denn der Frust gerade in der jungen Bevölkerung ist immens, weil sich viele Hoffnungen bisher nicht erfüllt haben. Vor allem die Wirtschaft ist nach der Aufhebung großer Teile der Sanktionen immer noch nicht in Schwung gekommen. Nicht zuletzt, weil europäische Banken weiter zögern, in große und damit lukrative Projekte zu investieren. Da einige US-Strafmaßnahmen weiter in Kraft sind – zum Beispiel gegen die mächtigen Revolutionsgarden –, fürchten die Geldinstitute vor allem Strafmaßnahmen in Amerika, sollten sie gegen diese Auflagen verstoßen.

Den ausbleibenden ökonomischen Erfolg nutzen jene Kräfte, die die Vereinbarung schon immer bekämpft haben. Die Hardliner im politischen Establishment halten das Abkommen für Verrat an den Fundamenten der Revolution. Mit dem Erzfeind Amerika, dem „großen Satan“, gemeinsame Sache zu machen, empfinden sie als schändlich. Dafür wird vor allem der als moderat geltende Präsident Hassan Ruhani verantwortlich gemacht. Dieser versuche nicht nur, das Land zu öffnen, sondern biedere sich dem verhassten Westen geradezu an. Die Konfrontation zwischen antiliberalen Hardlinern und den gemäßigten Reformkräften wirkt sich längst auch auf das innenpolitische Klima aus. Die Repressionen im Alltag nehmen wieder zu.

Ruhani kann daran kein Interesse haben. Er will 2017 wieder Präsident werden. Das wird ihm aber nur gelingen, wenn er als Architekt und Befürworter des Abkommens die Mehrheit der Iraner für sich gewinnt. Doch die warten bisher vergeblich auf die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen der Wende. Kein Wunder, dass die Vertreter eines harten politischen Kurses die Chance wittern, Ruhani loszuwerden. Sie bringen bereits einen der Ihren in Stellung. Mahmud Ahmadinedschad könnte gegen den Amtsinhaber antreten. Keine guten Aussichten für den Iran. Denn der schmächtige Mann mit der obligatorischen Windjacke und dem ausgeprägten Hass auf Israel hat während seiner Präsidentschaft von 2005 bis 2013 keine Gelegenheit ausgelassen, den Westen zu düpieren und das Atomprogramm voranzutreiben.

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