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Politik: Die Kleinen schreiben wieder Wunschzettel

EU-Außenminister können sich nicht auf den Verfassungsvorschlag des Konvents einigen. Einige Staaten wollen nachbessern

Die Hoffnungen haben sich am Gardasee schnell verflüchtigt. Wer wie Bundesaußenminister Joschka Fischer auf eine zügige Regierungskonferenz gehofft hatte, die das Ergebnis des EU-Verfassungskonvents weitgehend übernimmt, der kann sich jetzt keinen Illusionen mehr hingeben: Das informelle Wochenendtreffen der EU-Außenminister hat auf schmerzliche Weise gezeigt, wohin die Reise in den nächsten Monaten geht – ins Chaos neuer Verhandlungen, neuer Grundsatzdebatten und alter nationaler Egoismen.

Vergebens die Beschwörungen Joschka Fischers und seines französischen Amtskollegen Dominique de Villepin, den in 16 Monaten harter Verhandlungen erarbeiteten Konventsentwurf – Fischer: ,,eine Riesenleistung" – zu akzeptieren und allenfalls noch Details zu verändern. Vergebens die Warnungen des Europäischen Parlaments und der italienischen EU-Präsidentschaft in Straßburg, das Erreichte im Kreis der Regierungen wieder zu zerreden und zu zerpflücken. ,,Die Außenminister haben jetzt trotzdem den Sack wieder aufgeschnürt“, meint resigniert ein deutscher Diplomat in Riva. ,,Und niemand weiß, wie er bei der Regierungskonferenz wieder zugemacht werden kann.“ Den einen geht das Ergebnis des Konvents zu weit, den anderen nicht weit genug. In der lockeren Atmosphäre des Wochenendtreffens haben offenbar alle ihre Wunschzettelchen hervorgeholt: Die einen lehnen den vom Konvent beschlossenen hauptamtlichen Ratsvorsitzenden ab, die anderen wehren sich gegen die geplante Verkleinerung der EU-Kommission, weil sie auf alle Fälle nach Brüssel immer einen Kommissar schicken wollen. Die Briten bremsen bei der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Allein Österreich hat 13 Punkte vorgelegt, wo es Korrekturen erreichen will. Aber vor allem die osteuropäischen Beitrittsländer sind unzufrieden. Und selbst die EU-Kommission will nachbessern, weil sich der Konvent in zu wenigen Bereichen auf die Abschaffung der Einstimmigkeitsregel verständigen konnte.

,,Bei diesen Ländern macht man sich offenbar Illusionen. Manche glauben, dass erst in der Regierungskonferenz richtig verhandelt wird. Ein großer Irrtum", warnt ein erfahrener Diplomat aus einem führenden EU-Mitgliedsland. Schließlich waren im Konvent auch die Regierungen vertreten und haben zäh verhandelt. Das, was am Ende als Ergebnis zustande kam, war dann keineswegs nur der kleinste gemeinsame Nenner, sondern mehr als viele erwartet hatten. Fischer fürchtet nun, dass ,,alles nur Zeit kostet", wenn die Grundsatzfragen neu aufgerollt werden und jeder neu seine Wünsche aus der Tasche zieht. Am Ende neutralisieren sich die gegensätzlichen Forderungen gegenseitig. Das Ergebnis, so sagen erfahrene Brüsseler Diplomaten voraus, wird für diejenigen, die jetzt alles neu verhandeln wollen, letztlich nicht besser. Fischer macht sich offenbar große Sorgen, dass die am 4. Oktober in Rom beginnende Regierungskonferenz scheitern könnte. Und der Europaparlamentarier Elmar Brok (CDU) sagt sogar: „Wenn das Paket noch einmal aufgeschnürt wird, wird es keine Verfassung geben.“ Die italienische Präsidentschaft hofft dagegen unverdrossen, bis Ende des Jahres die Verhandlungen abzuschließen – die Diplomaten in Rom wissen: wichtige Entscheidungen kommen in der EU nur unter Zeitdruck zustande.

Wenn am Ende der Regierungskonferenz aber ein ähnlich schlechtes Ergebnis steht wie bei dem gescheiterten EU-Gipfel von Nizza, könnte die EU in eine handfeste Krise treiben. Denn dann, so droht ein hoher deutscher Diplomat, bietet sich für Deutschland, Frankreich, die Beneluxländer und andere Staaten des ,,alten Europas" als Ausweg aus der Sackgasse die Alternative des ,,Kerneuropa" an: eine neue, engere Union der Wenigen im Herzen Europas.

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