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Politik: Die Klima-Konferenz droht über der emsigen Pflege von Schlupflöchern ihre historische Chance zu verspielen (Kommentar)

Dabei hatte es so gut angefangen. Der Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro wurde als spektakuläre Rettungsaktion für den kranken Patienten Erde gefeiert.

Dabei hatte es so gut angefangen. Der Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro wurde als spektakuläre Rettungsaktion für den kranken Patienten Erde gefeiert. Ergebnis der bisher größten Zusammenkunft von Staatschefs war die "Klimakonvention" der Vereinten Nationen, die 154 der damals existierenden 199 Staaten unterzeichneten. Wichtigstes Heilmittel: Die Emission von Treibhausgasen sollte bis zum Jahr 2000 auf den Stand von 1990 zurückgeführt werden. Vor zwei Jahren zeichnete sich jedoch ab, dass den Worten keine Taten gefolgt waren. Die Konferenz in Kyoto verpflichtete 38 Länder, die besonders die Luft verpesten, ihre Emissionen um Werte zwischen 5 und 8 Prozent zu reduzieren.

Kurz vor dem Rio-Stichtag herrscht Katerstimmung. Die menschengemachte Belastung der Atmosphäre hat sich nicht verringert, sondern weiter deutlich erhöht. Zudem sind die Hauptverschmutzer, allen voran die USA, die zuvor noch schamhaft Besserung gelobt hatten, dazu übergegangen, den Zusammenhang zwischen ihrem exzessiven Energiekonsum und der globalen Erwärmung zu bezweifeln. Die Klimaforscher haben es schwer, in Bonn ihre Ergebnisse gegen die Industrielobby zu verteidigen.

Die gefährliche Vertrauenskrise haben die Wissenschaftler teilweise selbst verschuldet. Nach der ersten Weltklimakonferenz 1979 wurden Horror-Szenarien von globaler Erwärmung um fast zehn Grad Celsius, abschmelzenden Polkappen und taifunartigen Dauerstürmen in Umlauf gebracht. Die Medien sahen die Sahara bereits in Spanien und den Kölner Dom unter Wasser. Was tatsächlich niederging, war ein warmer Regen von Forschungsgeldern. Immer genauere Klimamodelle wurden entwickelt - mit immer weniger spektakulären Vorhersagen. Inzwischen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die globale Temperatur bis zum Jahr 2100 "nur" um 2 bis 3,5 Grad steigen wird - was immerhin noch der größte Klimawandel wäre, den die Menschheit je erlebt hat.

Doch die öffentliche Verwirrung ließ sich noch steigern: Seit kurzem meldet sich eine kleine Fraktion von Wissenschaftlern zu Wort, die als "Klimakritiker" den Zusammenhang zwischen menschlichen Aktivitäten und globaler Erwärmung bestreiten. Ihre Behauptung, die beobachtete Erwärmung sei lediglich Folge natürlicher Schwankungen, wie etwa der Sonnenaktivität, ist aufgrund statistischer Klimaberechnungen zwar mit 95prozentiger Wahrscheinlichkeit widerlegt; die verbleibenden fünf Prozent sind dennoch eine willkommene Argumentationshilfe für energieverschwendene Konzerne und umweltfaule Politiker.

Die unangenehme Botschaft, dass der Wohlstand durch den Verbrauch der fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle auf Kosten der Atmosphäre erwirtschaftet wurde, ist psychologisch schwer zu vermitteln. Immerhin hat der Westen mit seiner Wirtschaftskraft gerade den Kalten Krieg gewonnen. Und die 20 Tonnen Kohlendioxid, die die USA jährlich pro Kopf produzieren, sind im Gegensatz zu anderem Müll leider unsichtbar und geruchlos.

Das Abfallgas kann sich auf zwei Arten selbst verstärken. Erstens wird durch die globale Erwärmung weiteres Kohlendioxid aus den Weltmeeren freigesetzt, wie aus einer warmen Sprudelflasche. Zweitens entsteht ein Großteil des Kohlendioxids durch Verbrennung und Verwitterung von Wäldern. Sie werden auch immer noch großzügig abgeholzt, um Wohn- und Weideflächen zu gewinnen. Da Pflanzen jedoch der Luft Kohlendioxid entziehen, droht ein sich selbst verstärkender Teufelskreis.

Diese Szenarien werden dank verbesserter Simulationstechnik von Jahr zu Jahr wahrscheinlicher. Deshalb ist es höchste Zeit, wirksame Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgase zu ergreifen. Doch die Klimakonferenz in Bonn wird sich wohl hauptsächlich mit der komfortablen Ausgestaltung von Schlupflöchern für Umweltsünder beschäftigen. So ist der einzige nennenswerte Rückgang der Kohlendioxid-Emission in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu verzeichnen - als Folge des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Die USA haben bereits zu verstehen gegeben, dass sie die nicht wahrgenommenen Verschmutzungsquoten - die sogenannte "warme Luft" - gerne kaufen würden: um zu Hause entsprechend mehr Treibhausgase produzieren zu können.Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Alexander S. Kekulé

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