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Befreundet und wollen die SPD auf Zukunftskurs halten: Lars Klingbeil und Kevin Kühnert

© imago images/Mike Schmidt

Update

Die Lafontaine-Lehre von 1998: Wie Klingbeil und Kühnert die SPD zur Kanzlerpartei machen wollen

Lars Klingbeil will als Parteichef dafür sorgen, dass Scholz in Ruhe regieren kann. Kevin Kühnert, künftiger Generalsekretär, wird dabei zum Seismografen.

Die neue Zeit bei der SPD zeigt sich im Büro von Lars Klingbeil, es mutet an wie ein Probenraum. In der Ecke eine Gitarre, der künftige SPD-Chef hat früher in der Rockband "Sleeping Silence" gespielt. Nicht zu übersehen ist ein noch nicht ausgepackter riesiger Verstärker neben dem Schreibtisch.

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Den hat der Sänger Thees Uhlmann, Gründungsmitglied der Band Tomte, unten an der Pforte des Willy-Brandt-Hauses abgegeben - damit Klingbeil im Büro endlich mal richtig aufdrehen und Musik machen kann. Bleibt zu hoffen, dass es die Willy-Brandt-Skulptur im Atrium nicht umhaut.

Der Samstag mit der überwältigenden Zustimmung zum Koalitionsvertrag markiert den Beginn einer besonderen Woche: Sonntag soll beim FDP-Parteitag deren Ja folgen, Montag Bekanntgabe des Ergebnisses des Grünen-Mitgliederentscheids und Vorstellung der sechs SPD-Bundesminister. Dienstag Unterzeichnung des 177 Seiten langen Koalitionsvertrages und Auftritt der Ampel-Protagonisten um Olaf Scholz in der Bundespressekonferenz. Mittwoch Kanzlerwahl von Scholz und Vereidigung der Bundesminister. Donnerstag erste Ministerpräsidentenkonferenz mit Fokus auf die Corona-Lage. Am Freitag soll das verschärfte Infektionsschutzgesetz im Bundestag beschlossen werden, zudem plant Scholz seine erste Reise nach Paris zu Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und zur EU-Kommission nach Brüssel.

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Und am Samstag, dem 11. Dezember, steht dann gleich der nächste Parteitag an, dieses Mal der reguläre, in der Berliner Messe, aber auch weitgehend virtuell, wegen der Corona-Lage.

Dort soll Scholz dann seine erste große Kanzlerrede zur Partei halten - vor allem aber soll Klingbeil zusammen mit Saskia Esken zu den neuen Vorsitzenden gewählt werden, Norbert Walter-Borjans kandidiert nicht erneut. Klingbeil hat in seinen vier Jahren als Generalsekretär seine Wandlungs- und Reformfähigkeit gezeigt, diente unter den Vorsitzenden Martin Schulz, Andrea Nahles und eben dem Duo Esken/Walter-Borjans.

Wann immer Lars Klingbeil es schafft, hält er sich beim Cross Fit fit.
Wann immer Lars Klingbeil es schafft, hält er sich beim Cross Fit fit.

© Mario Heller/Tagesspiegel

Die Geschichte mit dem Verstärker erzählt einiges auch über den Menschen Klingbeil. Weit vernetzt, auch in der Kulturszene, digitalaffin und eher unkonventionell. Kein Willy-Brandt-Gemälde über dem Schreibtisch, er weiß noch nicht einmal, wo die Taschenuhr von August Bebel ist, die irgendwann mal bei Willy Brandt landete und die Legende schuf, sie werde von Vorsitzenden zu Vorsitzenden als Glücksbringer weitergegeben.

Aber Klingbeil wirkt auch etwas geschafft von den harten Koalitionsverhandlungs- und Organisationswochen seit der Bundestagswahl.

Lafontaine machte Opposition gegen den Kanzler

Systematisch sind die Fehler der Vergangenheit studiert worden, Klingbeil ist der Organisator der Geschlossenheit, des neuen Vertrauens und der Verschwiegenheit. Was auch auf die Ampel-Verhandlungen übertragen wurde - ohne dass Handys eingesammelt werden mussten.

Das will jetzt ja Friedrich Merz anordnen für CDU-Vorstandssitzungen, sollte er Vorsitzender werden, um die ewigen Durchstechereien und Illoyalitäten zu beenden. Ein anderer Fehler, den sich Klingbeil nochmal genauer angeschaut hat. Das Machtverhältnis zwischen Partei und Kanzleramt zur Zeit Gerhard Schröders 1998. Da hat SPD-Chef Oskar Lafontaine Opposition gegen den eigenen Kanzler gemacht und den Start erheblich erschwert.

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Kühnert als Ohr der linken Basis

Gerade deshalb gibt es nun mit der am Freitag offiziell durch Präsidium und Vorstand erfolgten Nominierung von Kevin Kühnert zum neuen Generalsekretär eine interessante taktische Überlegung. Kühnert ist als Scharnier zum linken Parteiflügel entscheidend, einflussreicher als Esken.

Und so wie er einst fast die große Koalition verhinderte, gilt er nun als derjenige, der auch unliebsame Kompromisse durchsetzen kann, vor allem aber als Seismograf, wie weit Scholz gehen kann, was durchsetzbar ist in der Ampel mit FDP und Grünen. Es geht quasi um die Mission, die SPD mit der Macht zu versöhnen, sie zur Kanzlerpartei zu machen - und zugleich Zukunftskonzepte in unruhiger Zeit zu entwickeln.

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Zugleich muss Kühnert seine Rolle finden, nicht mehr für die Jusos zu sprechen, sondern für die ganze Breite der Partei. Im Wahlkampf nannte er FDP-Chef Christian Lindner einen „Luftikus“, solche Attacken könnten das Koalitionsklima schnell gefährden. Für Scholz, Esken und Klingbeil ist die Personalie auch ein Risiko: Was wenn irgendwann die Ruhe im linken Flügel endet und Kühnert womöglich zum Wortführer eines Oppositionskurses gegen die Ampel werden, also den inneren Burgfrieden aufkündigen sollte?

Es wird ein Loyalitätstest für ihn, Olaf Scholz kann ein Lied davon singen, wie schwer die Rolle des Generalsekretärs in Regierungszeiten ist, für das monotone Verteidigen der Regierungspolitik bekam er den Spitznamen „Scholzomat“.

Aber Kühnert und Klingbeil sind eng befreundet, haben viele Gespräche im Vorfeld geführt. Kühnert hatte zudem auch eine wichtige Funktion in der neuen Bundestagsfraktion, insgesamt gibt es mit ihm 49 Jusos dort, also SPD-Abgeordnete unter 35. Klingbeil hat den Verjüngungskurs eingeleitet, Kühnert soll ihn fortsetzen.

NRW-Landeschef Kutschaty wird statt Kühnert Vize

Um auch an der Spitze Parität zu schaffen, wurden neben Klingbeil , Esken und und Kühnert folgende fünf stellvertretende Vorsitzende zur Wahl auf dem Bundesparteitag am 11. Dezember nominiert: Die schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Serpil Midyatli, die saarländische SPD-Chefin Anke Rehlinger, Klara Geywitz, Arbeitsminister Hubertus Heil und neu der nordrhein-westfälische Landeschef Thomas Kutschaty, der 2022 neuer Ministerpräsident werden will. Er ersetzt quasi den bisherigen Vize Kühnert.

Gemeinsam will man die ganze programmatische Entwicklung verstärken, vor allem wie die SPD den gewaltigen Transformationsprozess in Gesellschaft und Arbeitswelt als Anwalt der Bürger gestalten kann. Und klar ist: der Generalsekretär organisiert die Wahlkämpfe.

Kühnert hat Klingbeils Schweigeappell verinnerlicht

Klar scheint: Kühnert, der erst spät seinen Frieden mit der Kanzlerkandidatur von Scholz gemacht hat, soll dessen Wiederwahlkampagne 2025 organisieren. Gewaltige Aufgaben für einen 32-Jährigen, der rhetorisch eines der größten Talente der SPD ist.

Und er hat das Klingbeilsche Schweigegelübde als Basis des Vertrauens verinnerlicht. Als er am Donnerstagabend, nachdem erste Meldungen die Runde machen, Kühnert soll neuer Generalsekretär werden, um acht das Willy-Brandt-Haus verlässt, will er nichts sagen dazu. Er flötet nur ein „surprise, surprise“ („Überraschung“) - und verschwindet in der Berliner Nacht.

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